"Wutbürger" machten im Rathaus ihrem Ärger Luft

12091WBHarburg - „Wir fühlen uns verarscht! Ihr seid ‘ne Betrügerbande!“ – Ausrufe, die eigentlich schon die Grenze des Anständigen überschreiten. Aber an diesem denkwürdigen Abend im großen Sitzungssaal des Rathauses

Harburg grenzte es eher an ein Wunder, dass es nicht zu Handgreiflichkeiten gekommen ist.

 

Denn die Harburger Verwaltung hat in nie da gewesener Weise eindrucksvoll bewiesen, dass sie entweder hoffnungslos überfordert ist oder aber dass sie die Sorgen und Nöte der Bürger nicht die Bohne interessieren. Womöglich sogar beides.

 

Knapp 30 Mitglieder des „Bürgerbegehrens Vogteistraße/Jägerstraße“ waren in den Ausschuss „Inneres, Bürgerservice, Verkehr“ gekommen, um endlich Klarheit in einer nicht nur für sie wichtigen Frage zu bekommen: Ist dieser merkwürdige Zwitter aus Durchgangsstraße und Tempo-30-Zone am südöstlichen Stadtrand baulich überhaupt für den Schwerlastverkehr geeignet, der sich hier immer mehr breit und die Häuser der Anwohner langsam aber sicher mürbe macht?

Auf eine Antwort warten die Bürger und mit ihnen alle Fraktionen der Bezirksversammlung seit Mai. Die Verwaltung schweigt vor sich hin. Bauunterlagen, die Auskunft über den Unterbau der Straße geben könnten, gibt es offenbar nicht. Demnach wäre die Zulassung für den Schwerlastverkehr nur eine Zulassung auf Verdacht.

Schon zu Beginn der Sitzung mussten die Bürger die erste Wutprobe aushalten: Weder der Baudezernent noch der Amtsleiter Tiefbau und Stadtgrün oder irgendein kompetenter Verwaltungsmensch hatten es für nötig befunden zu erscheinen – dabei standen die Straßen Vogteistraße/Jägerstraße groß auf der Tagesordnung. Lediglich Bernhard Schleiden, Dezernent für Bürgerservice war anwesend, musste aber bei den meisten Fragen passen. Dafür versprach er, die Fragen „zu Protokoll zu geben“. Die Abwesenheit seiner Kollegen „vom Bau“ erklärte er mit der „Urlaubszeit“. Fragt sich nur, ob er noch die Sommerferien meinte oder schon die Vorbereitung auf die Weihnachtspause!

Bezirksamtsleiter Thomas Völsch muss sich als Chef der Verwaltung und damit Vorgesetzter aller eben genannten Mitarbeiter nun fragen lassen, ob er ihr Verhalten in Ordnung findet. Und ob man so mit den Bürgern und Steuerzahlen umgehen kann.

Es kam allerdings noch viel schlimmer. Anwohnerin Isabel Wiest und viele andere hatten in den vergangenen Monaten immer mal wieder neue Fragen an das Bezirksamt gerichtet und sogar gelegentlich auch Antworten bekommen. So hatten sie gefragt, ob denn der schlechte Zustand der Straßendecke nicht auf einen überlasteten Untergrund schließen lasse. „Nein“, hatte ihnen Baudezernent Jörg Penner schriftlich geantwortet. Die Schäden seien die Folge von 17 „Aufgrabegenehmigungen“, die das Bezirksamt allein in den vergangenen 16 Monaten erteilt habe. Von diesen Bauarbeiten hatten die Anwohner allerdings nichts bemerkt.

Nun musste Bernhard Schleiden kleinlaut zugeben, dass es sich bei diesen ominösen „Aufgrabungen“ vor allem um die Beseitigung von Stubben im Gehwegbereich gehandelt habe. Die Schäden auf der Fahrbahn müssen dann wohl andere Ursachen haben... Das war Wutprobe Nummer zwei.

Die nächste folgte sogleich. Vor wenigen Tagen hatte das Bezirksamt die Anwohner schriftlich über die geplanten Baumaßnahmen informiert, die den Straßenzug Vogteistraße/Jägerstraße auch optisch zu einer Tempo-30-Zone machen sollen. Großzügig räumte die Verwaltung den Bürgern auch noch die Möglichkeit ein, Vorschläge für weitere Maßnahmen zu machen. Es wurden in dem amtlichen Schreiben sogar zwei Ansprechpartner (samt Telefon-Durchwahl) genannt.

Einer der Anwohner hat die Nummern auch gleich ausprobiert. Ergebnis: Der eine Ansprechpartner ist erst am 15. Oktober wieder da, die andere Ansprechpartnerin wollte sich nicht zum Thema äußern. Sie sei erst seit Montag mit dieser Angelegenheit befasst, habe vorher etwas ganz anderes gemacht und müsse sich erst einarbeiten. Bernhard Schleiden: „Das nehmen wir zu Protokoll.“

Und  dann wurde es wirklich ernst: Nachdem die Verwaltung die zunächst vorgeschlagenen 17 baulichen Maßnahmen zum Ärger der Anwohner auf sechs oder sieben (das ist noch strittig) eingedampft hatte, meldete sich der SPD-Abgeordnete Michael Dose und verkündete: „Wir haben beschlossen, dass zunächst nur zwei Maßnahmen in der Jägerstraße provisorisch umgesetzt werden. Dann kucken wir mal, ob das überhaupt funktioniert.“ Jetzt kochte der Saal! Was da alles gerufen wurde, ist nicht mehr zitierfähig. Und doch verständlich! Was die SPD geritten hat, noch einmal richtig Öl ins Feuer zu gießen, blieb unklar. Trotz einiger Erklärungsversuche von Michael Dose.

Schließlich bat die SPD um eine kurze Sitzungspause, danach lenkte sie ein und zog ihren Beschluss zurück. Dass Dose sich sogar bei den Bürgern entschuldigte und einen Fehler seiner Fraktion eingestand, wirkte Wunder. Augenblicklich war bei den meisten die Wut verraucht. Das wird aber nicht lange anhalten. Die wichtigste Frage ist weiterhin nicht geklärt: Was halten Jägerstraße und Vogteistraße auf Dauer aus? Ist es wirklich zu verantworten, dass hier der Schwerlastverkehr ungehindert durchbrettern kann? Die nächste Bezirksversammlung ist am 25. September. Mit Bürgerfragestunde! mag