Nachlese: Harburgs Tops und Flops des vergangenen Jahres

Harburg – Die letzten Knaller sind verstummt, Hunde und Katzen entspannen sich, dafür hat die Schule wieder begonnen, rundherum werden die Parkplätze knapp.

Willkommen 2018! Zeit für einen kurzen Ausblick und einen wertenden Blick zurück. Was waren – ganz subjektiv betrachtet – im vergangenen Jahr die Tops und Flops?

Auf ein Neues? Aufbruchstimmung will in Harburg auch nach dem Jahreswechsel nicht so recht aufkommen. Der Schock über den plötzlichen Tod von Thomas Völsch sitzt immer noch tief. Verständlich, dass sich die Harburger Genossen viel Geld Zeit mit der Kür eines neuen Bezirksamtsleiter lassen. Sie wollen „in Würde“ Abschied von Völsch nehmen

Gleichwohl macht das Procedere, das nun langsam in Fahrt kommen soll, nachdenklich. Zunächst einmal macht sich nur die SPD, die in der Bezirksversammlung mit 19 von 51 Sitzen nicht gerade mit einer üppigen Mehrheit  ausgestattet ist, auf die Suche nach einem Mann oder einer Frau, der oder die den Bezirk Harburg in die Zukunft führen soll. Die SPD stellt nun einmal die stärkste Fraktion und nimmt sich das Recht heraus, ganz allein eine Auswahl zu treffen. Das war schon immer so.

Sollte sich eine geeignete Person finden, wird sie im nächsten Schritt dem Koalitionspartner vorgestellt – und die CDU wird gewiss über das Stöckchen springen, denn offenbar fühlt  sich ihr Kreischef Ralf-Dieter Fischer in der Großen Koalition wohl. So viel Gestaltungsmacht wie im Bezirk Harburg mit nur 14 von 51 Stimmen im Kommunalgremium gibt es tatsächlich selten. Deshalb überrascht es auch nicht, dass Fischer schon von der Fortsetzung der Harburger GroKo nach der Wahl zur Bezirksversammlung im kommenden Jahr träumt. GroKo ist überall, bald vielleicht auch in Berlin. Die Demokratie dämmert vor sich hin – dabei täten frische Ideen aus meist radikaleren Oppositionsköpfen auch Harburg mal ganz gut.

Welche Rolle Fischer in den kommenden Jahren spielen wird, ist noch nicht ganz klar. Der Mann wird im Mai 70 und hätte durchaus Lust, mit seiner Frau Lydia mehr Zeit mit seinen Enkeln und in Kunstausstellungen in aller Welt zu verbringen. Auf den Kreisvorsitz, der in diesem Frühjahr neu gewählt wird, könnte er wohl verzichten – wenn da nicht Birgit Stöver vom Ortsverband Harburg-Mitte wäre. Sollte die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfrakton für den Kreisvorsitz in Harburg kandidieren, würde Fischer wohl noch einmal antreten. Kein Fußbreit den Stövers! Außerdem  ist Fischer nach wie vor der Überzeugung, dass eine Steigerung der Frauenquote seiner Partei nicht unbedingt mehr Qualität bringen würde.

{image}Dabei hat Fischer selbst für eine Qualitätssteigerung dank Frauenpower gesorgt! Dr. Anke Jobmann, die neue Sozialdezernentin des Bezirksamts Harburg ist ohne Zweifel eine Gewinnerin des Jahres – und sie war auf Vorschlag der CDU „gecastet“ worden (so ist das in Harburger Koalitionen Usus: Die SPD schlägt den Bezirksamtsleiter vor, der Partner einen Dezernenten). Innerhalb eines halben Jahres hat sich Jobmann in der Altmänner-Regie der Harburger Dezernenten Respekt mit Fleiß (der soll ja bei einigen anderen Dezernenten nicht besonders ausgeprägt sein), Detailarbeit und strukturierten Initiativen verschafft. Und sie hat sich auch  von einer klassischen Vorverurteilung nicht ins Bockshorn jagen lassen: Weil sie nach ihrer Doktorarbeit als Historikerin zunächst für die Bürgerschaftsfraktion der Schill-Partei gearbeitet hatte, wurde sie sofort in der rechten Ecke abgestellt.

{image}Der nächste Gewinner ist Werner Pfeifer. Er hat es geschafft und eine Bruchbude am Kanalplatz in das Wohnzimmer des Binnenhafens verwandelt. Die Fischhalle ist nicht nur das maritime Kulturzentrum an Harburgs Wasserkante, sie ist genau das, was das Entwicklungsgebiet Harburger Binnenhafen von anderen Quartieren unterscheidet, die durch den Strukturwandel gezwungen waren, sich neu zu erfinden. Die Harburger Fisch- und Querköppe um Pfeifer, Gorch von Blomberg oder Birgit Caumans haben sich nachhaltig dagegen gewehrt, dass jede Baulücke mit Investorengeld zugestopft und bis zur Unkenntlichkeit vermurkst und entseelt wird. Das ist ihnen nicht überall gelungen, in der Fischhalle aber ganz bestimmt.

{image}Während Alexander Dobrindt, unter anderem bis Oktober noch Bundesminister für digitale Infrastruktur die „konservative Revolution“ ausruft, beklagt Technologie-Experte Bernd Beckert vom Fraunhofer Institut für Innovationsforschung den schleppenden Netzausbau in Deutschland. Es  sei „blamabel“, dass Deutschland bei der Versorgung mit superschnellen Datenverbindungen in der Rangliste der OECD-Länder auf Platz 28 von 32 zurückgefallen ist. Wie gut, dass derartiges Staatsversagen dank so wacher kommunikativer Denker wie Martin Mahn nicht unter den Teppich gekehrt wird. Der TuTech-Geschäftsführer twitterte: „Leider sehr zutreffend. Und wenig Besserung in Sicht... Gemütlich, hier in der digitalen Steinzeit.“ Ein Mann mit Meinung! Ein Gewinner! Gut, dass wir solche Leute in Harburg haben, die den Mief, der sich gelegentlich über den angeblich so arg vernachlässigten Bezirk legt, wegzwitschern.  Und die Verantwortung übernehmen und den Verein Channel Hamburg neu positionieren. Das bringt die Region voran.

{image}Binnenhafen, Harburg, Channel – und was fehlt? Na, klar! Arne Weber. Vor knapp 30 Jahren hatte der Chef von H.C. Hagemann eine alte Seifenfabrik am Schellerdamm gekauft, umgebaut und an die Telekom vermietet. Das war der greifbare Auftakt zum Strukturwandel in Harburgs abgewirtschafteten Hafen. Nun schließt sich der Kreis. Mit dem Hamburg Innovation Port setzt Weber hinter die Entwicklung des Binnenhafens ein grandioses Ausrufezeichen und macht sich erneut zum Gewinner.  War’s das? Wer Weber kennt, weiß, dass er nicht aufhören kann. Und schon schwärmt er in vertraulicher Runde von einem einzigartigen Projekt für den Binnenhafen: „So etwas hat es noch nie gegeben.“ Mehr ist aus ihm zurzeit nicht herauszulocken.

{image}Harburgs Gastronomie sei ein schwieriges Pflaster, heißt es – vor allem von Wirten, die schwer zu kämpfen haben. Es mag, wie immer wieder behauptet wird, am hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund liegen, die lieber zu Hause im Kreis der Familie essen, es mag auch am Mangel von guten Köchen liegen, vielleicht auch am Konzept oder einfach an der Qualität der Speisen und ihren Preisen liegen. Dennoch hat es ein Quartett von Harburger Lokalen geschafft, sich an die Spitze und in die Top 100 der neuesten Hamburger Restaurant-Rangliste zu kochen. Die größten Gewinner sind demnach Marian Hansen und sein Küchenchef Christopher Weigel vom Nordlicht. Sie machten einen Sprung von Platz 63 auf 44 und sind mit 37,0 Wertungspunkten in Harburg die klare Nummer eins. Auf Platz zwei in Harburg und Platz 64 in Hamburg wurde der Leuchtturm an der Außenmühle gesetzt – mit 23,0 Punkten. Dahinter Momento di (Platz 85 in Hamburg/13,4 Punkte) sowie Silo 16 (87/12,0). Qualität lohnt sich offenbar!

Gewinner sind schließlich jene Menschen, die – egal ob als „Einheimischer“ oder als Flüchtling – völlig unbürokratisch und in aller Stille dafür sorgen,  dass wir alle ein wenig friedlicher zusammenleben. Ja, es gibt Probleme, es gibt aber auch zahlreiche Initiativen, die zuerst das Gemeinsame suchen, um dann mit vereinten Kräften Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Alle diese Menschen suchen nicht die Öffentlichkeit, sie brauchen keine Schlagzeilen. Und so hört man dann von Weihnachtsfeiern, bei denen sich Männer aus dem Vorderen Orient mit leuchtenden Augen bei Eierlaufen und Topfschlagen verausgaben und einfach glücklich sind. Oder man liest bei Facebook mit wachsender Begeisterung die Kochrezepte, die ein Syrer dort für eine wachsende Fangemeinde von Harburgern postet.

Einzelne Verlierer des Jahres zu nennen fällt unter dem Eindruck des unfassbaren Verlusts unglaublich schwer , den alle Harburger Ende November hinnehmen mussten. Bezirksamtsleiter Thomas Völsch fehlt, vor allem fehlt der Mensch Thomas Völsch. So beschränken wir uns auf ein paar Handlungsfelder, auf denen es 2017 erkennbare Defizite gab. Abgesehen von den Großbaustellen Verkehrslärm und bezahlbarer Wohnraum nervt es zunehmend, dass das Internet für das Bezirksamt offenbar eher eine lästige Pflicht ist, die nur dann erfüllt wird, wenn gerade nichts anderes zu tun ist. Dass auf der Website des Bezirks Harburg immer noch Thomas Völsch als Bezirksamtsleiter freundlich lächelt und die Möglichkeit anbietet, ihm eine Mail zu schicken, tun eigentlich nur weh. Und auch den Online-Wegewart konnte man vor wenigen Tagen noch anklicken, um eine Meldung über eine defekte Straßenlaterne oder ein Loch im Gehweg loszuwerden. Dass man aber lesen musste, dass die Seite zurzeit nicht verfügbar sei, war schon ärgerlicher – zumal der Online-Wegewart vor rund zwei Jahren durch den Melde-Michel ersetzt worden ist.

Vielleicht ist die Website ja bei „Projekte in Planung“ aktueller. Erstaunlicherweise scheint es zurzeit nur zwei Projekte zu geben: den Bahnhofsvorplatz Neugraben (Stimmt, das ist ein Dauerbrenner) und die Berufsschule Göhlbachtal. Die wurde zwar schon 2016 eingeweiht, auf der Harburg-Website wird sie indes immer noch geplant.

Ist das mit der FahrradStadt Hamburg eigentlich ernst gemeint? Oder tun die nur so, um eine bestimmte Wähler-Klientel ruhig zu stellen? Dass Harburgs Radwege im Grunde eine Frechheit sind, muss nicht näher dargelegt werden. Nun sollen also für viele Millionen zwei Velo-Routen angelegt werden. Allerdings nicht jetzt, nun muss erstmal der Bau der Brücke Hannoversche Straße abgewartet werden. Auch die Beschlüsse der Bezirksversammlung, die Straße Göhlbachtal und die Denickestraße in Fahrradstraßen zu verwandeln müssen noch auf ihre Umsetzung warten. Dafür gibt es nicht genug Personal.

Unterdessen streiten sich Harburgs Hardcore-Radfahrer darüber, ob sie die Velo-Route über den Harburger Ring nutzen oder sich lieber woanders  durchschlängeln sollten. Originalton einer Radfahrerin: „Auf dem Harburger Ring soll ich zwischen der stark frequentierten Bushaltestelle und der vielbefahrenen Straße nur durch weiße Linien getrennt fahren? Ich bin doch nicht lebensmüde!“

Und dann sind da noch die Berge, die in Harburg das Radfahren so mühsam machen. Manuel Sarrazin, Harburger Bundestagsabgeordneter der Grünen, hatte mal die Idee, den Bezirk angesichts der vielen Steigungen, aber auch angesichts der Nähe zu vielen kreativen Erfinderköpfen an der Technischen Universität zu einer Modellregion für Fahrrad-Elektromobilität zu machen. Aber nicht einmal seine Parteifreunde haben die Idee aufgegriffen. Übrigens hatte ein Harburger Projektentwickler einen Investor an der Hand, der eine Fläche in der Nähe des Harburger Bahnhofs für ein Zentrum für Elektro-Fahrräder samt Shop, Werkstatt, Entwicklungslabor und Hotel für Fahrradreisende nutzen wollte. Angeblich soll die Wirtschaftsbehörde ein Veto eingelegt haben, so ein Zentrum könne den Einzelhandel in der Harburger Innenstadt schwächen. So wird das nichts mit der FahrradStadt!

Für rund 6000 Hunde (Spitzenreiter: Mischlinge, Labrador Retriever und Jack-Russel-Terrier) bezahlen die Harburger rund 600.000 Euro Hundesteuer, Jahr für Jahr. Wie jede Steuer wird sie nach dem Gesamtdeckungssprinzip zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben verwendet, ist also nicht zweckgebunden. Gleichwohl wundern sich Harburger Hundehalter, die in der gesamten Stadt herumkommen, schon über den Zustand der Hundeauslaufflächen in Harburg. Während es nördlich der Elbe neben ein paar Bänken meist auch einfache Spielgeräte für die Hunde wie Baumstämme, Röhren oder Hügel gibt, glänzen die beiden eingezäunten Harburger Hundeausläufe durch ihre Schlichtheit. Zaun, eine Bank, das war’s.  Dank des Engagements einiger Hundebesitzer sind jetzt drei zusätzliche Bänke aufgestellt worden. Dass in Harburg die Globalrichtlinie für die Ausweisung von Hundeauslaufflächen (maximale Entfernung für die Hundebesitzer: zwei Kilometer) „nicht durchgängig erfüllt“ wird, hat der Senat schon nach einer Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion eingeräumt. Seit Monaten ist die Fläche im Göhlbachtal allerdings auch nicht zu nutzen, denn die Wiese steht auf Grund ihrer Lage fast permanent unter Wasser. Selbst die Sitzbänke sind trockenen Fußes nicht mehr zu erreichen.

Klar, die nicht eingezäunte Auslauffläche in der Haake ist eigentlich ein Traum. Allerdings sind dort Nutzungskonflikte an der Tagesordnung. Mountain Biker, Natural Born Golfer, Geo Cacher und mit spitzen Stöcken bewaffnete Nordic Walker gehen den Hundehaltern gelegentlich auf die Nerven. Viel bedenklicher sind die Begegnungen von frei laufenden Hunden mit Kita-Gruppen, deren Erzieherinnen häufig gar nicht wissen, in was für einer Fläche sie sich bewegen. Ein einmalig einberufener Runder Tisch und viel Eigeninitiative könnte hier viel Frust abbauen. ag

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