Bezirksversammlung wird über längst völlendeten Tatsachen informiert

WacheNoeldekestrasseHarburg – Funktioniert Demokratie auch rückwärts? Also: Erst eine Entscheidung treffen und sie auch umsetzen – und dann erst das Volk oder dessen Vertreter fragen? Der

Landesbetrieb Erziehung und Bildung (LEB) geht offenbar davon aus, denn er hat zwar schon im September entschieden, in der ehemaligen Polizeiwache Nöldekestraße nicht nur – wie geplant – 36, sondern doppelt so viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unterzubringen. LEB-Chef Klaus-Dieter Müller hat die Bezirksversammlung aber erst mit Schreiben vom 11. Dezember gebeten, im Januar 2016 eine Anhörung nach Paragraf 28 Nr. 1 des Bezirksverwaltungsgesetz durchzuführen.

Dieser Paragraf ist in den vergangenen Monaten mehrfach ignoriert worden. Es heißt dort zwar, dass „vor der Entscheidung des Senats oder einer Fachbehörde über die Ansiedlung, Schließung oder wesentliche Veränderung nachfolgender Einrichtungen die örtlich zuständige Bezirksversammlung anzuhören ist, sofern die Entscheidung für den Bezirk oder einen wesentlichen Teil des Bezirks von Bedeutung ist“. Als Beispiele werden verschiedene Einrichtungen genannt, zum Beispiel „Einrichtungen der Jugendhilfe“ – worum es sich im Fall Nöldekestraße ja eindeutig handelt.

Bei so einer Anhörung wird nicht nur geredet und möglicherweise auch zugehört. Paragraf 28 sagt deutlich: „Der Senat oder die Fachbehörde berücksichtigen bei ihrer Entscheidung die Stellungnahme der Bezirksversammlung.“ Bleibt die Frage: Wie können die Argumente des Bezirks berücksichtigt werden, wenn die Zahl der Betreuungsplätze längst verdoppelt worden ist, also eine „wesentliche Veränderung“ vorgenommen worden ist? Und  nicht nur das: Der LEB bittet nachträglich um eine Stellungnahme zur Vergrößerung auf 70 Plätze, in Wirklichkeit sind zurzeit aber schon nach eigenen Angaben 85 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht.

Schon bei der ersten Anhörung im September 2014, als es noch um 36 Plätze ging, hatten die Bezirkspolitiker erhebliche Zweifel an der Einrichtung geäußert. Sie kritisierten vor allem, dass die jugendlichen Flüchtlinge in einem Umfeld voller möglicher Versuchungen leben sollen  –  ganz in der Nähe befindet sich die Taqwa-Moschee, die als Treffpunkt Hamburger Salafisten bekannt ist und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Nicht weit entfernt sind auch die Lokale in der Wilstorfer Straße, in deren Umgebung häufiger mit Drogen gehandelt wird. Müller hatte damals eingeräumt, dass das Umfeld der alten Wache für die „Entwicklung einer Lebensperspektive nicht gerade förderlich ist“. Dennoch hatte er versucht, die Bezirkspolitiker zu beruhigen: „Wir haben pädagogische Mittel darauf hinzuweisen, dass der Weg der Salafisten nicht der richtige ist. Wir werden sehen, ob das erfolgreich ist.“

Die bisherigen Erfahrungen scheinen Müller Recht zu geben. Er jedenfalls berichtet: „Die Einbindung in das Umfeld der Einrichtung ist positiv verlaufen. Die dort befindlichen Jugendlichen konnten in die ihnen zugewiesenen Schulen integriert werden und arbeiten an ihrer Perspektiventwicklung mit.“ ag