Mehr Bürgerbeteiligung: Das stellen sich die Fraktionen vor

RathausHarburg – Alle fünf Jahre ein paar Kreuze machen. Ist das genug Bürgerbeteiligung? Mehr geht nicht, scheinen einige Politiker zu glauben. Und handeln auch danach. Wenn dann der

große Saal im Rathaus Harburg doch mal voll ist, heißt es aus den Reihen der „Volksvertreter“: „Die kommen doch nur, wenn sie selbst betroffen sind.“ Doch der Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung – vor allem aber nach besserer Information – wird lauter. Was ist zu tun? Die CDU-Bürgerschaftsfraktion will jetzt erstmal die Sitzungen von Bürgerschaft und Fachausschüssen attraktiver machen. Und was ist mit der Bezirksversammlung? harburg-aktuell.de hat die sechs Fraktionen und die beiden FDP-Abgeordneten gefragt. Wir dokumentieren alle Antworten nahezu ungekürzt, damit sich die Bürger selbst ein Urteil bilden können.

Für die GroKo hat CDU-Chef Ralf-Dieter Fischer – nach Abstimmung mit SPD-Fraktionschef Jürgen Heimath –  geantwortet. Die SPD hat in der Bezirksversammlung (BV) 18 Sitze, die CDU 14.

„Die Überlegungen der Bürgerschaftsfraktionen sind zu begrüßen, wenngleich eine Einbeziehung externer Fachleute und von Bürgern in die beginnenden Beratungen wünschenswert wäre. Die Bezirksversammlung hat jedoch etwas andere Aufgaben. Hier soll im Interesse der Bürger über örtliche Angelegenheiten informiert, diskutiert und entschieden werden. Das muss und kann oft nicht unterhaltsam und spannend sein. Besucher berichten häufig, dass sie Sitzungen interessant fanden und mehr gewünscht hätten im Voraus oder nachträglich über die Medien informiert zu werden. Da die Mehrzahl der Besucher eigene persönliche Interessen an Einzelthemen hat und erwartet in der eigenen Meinung bestätigt zu werden, können viele Wortbeiträge und der weitere Sitzungsverlauf häufig nicht interessant sein.

Im Übrigen hat die BV gerade kürzlich ihre Geschäftsordnung weitgehend einvernehmlich geändert, um Abläufe zu straffen. Man sollte zunächst die Auswirkungen abwarten und in Ruhe auswerten.“

Für die Grünen hat Fraktionsvorsitzende Britta Herrmann geantwortet. Die Grünen haben in der Bezirksversammlung fünf Sitze.

„Derzeit erleben wir  engagierte Bürger mit einem vorwiegend  partiellen Interesse, die sich in die politische Diskussion oder in Entscheidungsprozesse einbringen wollen. Über dies hinaus möchte ich aber auch das allgemeine Interesse an Politik unterstützen und stärken. Die Beteiligung muss weit vor der BV anfangen. In der BV sind die politischen Entscheidungsprozesse bereits abgeschlossen. Die Bürger sollten sich schon weit vorher, in den Ausschüssen, einbringen, denn  hier findet die Auseinandersetzung und Willensbildung statt. Hier müsste den Bürgern verbindlich mehr Zeit und  Raum zur Verfügung gestellt werden.

Das Ratsinformationssystem bietet den Bürgern eine erste Informationsmöglichkeit, daraus ergibt sich ja der Beteiligungsanspruch.

Um allen Bürgern eine Beteiligungsmöglichkeit zu geben, halten wir  bezirkliche Online-Beteiligungsformen, wie z. B. LiquidFeedback für erforderlich. Hier können sich Bürger direkt zu den unterschiedlichsten Themen in die Diskussion einbringen. Bei diesen Formen der Beteiligung sind die Grenzen zwischen repräsentativer und direkter Demokratie fließend und das würde ein höheres Verständnis für beide Seiten im Sinne von Transparenz ausmachen.

Für alle Beteiligungsformen müssen klare Regularien definiert werden. Es muss deutlich sein, ob es um Information, Mitwirkung, Mitentscheidung oder  um Entscheidung geht.

Fest verankerte Beteiligungsformen wie §33 BezVG müssen zur Anwendung kommen. Beteiligung muss zu einem Selbstverständnis auf beiden Seiten werden.“

Für die Linke hat Fraktionsvorsitzender Jörn Lohmann geantwortet. Die Linke hat in der Bezirksversammlung fünf Sitze.

„Für die Fraktion der LINKEN in der Bezirksversammlung ist der wichtigste Schritt zur Attraktivitätssteigerung der BV und der Ausschüsse die Anerkennung und stärkere Umsetzung der Bürgerbeteiligung ist. Wir –  und dass sage ich auch selbstkritisch, müssen deutlich offener sein für neue Ideen und Anregungen der Bürgerinnen und Bürger, wir müssen ihre Sorgen ernst nehmen und ihren Ängsten und Befürchtungen müssen wir aufgeschlossen gegenüberstehen.

Erste Schritte in die richtige Richtung könnten sein:

1. Ein Rederecht für Bürgerinnen und Bürger in allen Ausschüssen und nicht nur in den Regionalausschüssen. In den Fachausschüssen soll ja gerade inhaltlich diskutiert und gearbeitet werden. Dort ist das Meinungsbild der Anwohner und Betroffenen oftmals sehr hilfreich.

2. Die Einrichtung eines Internet-Livestreams, analog der BV Altona.

3. Die Erarbeitung eines Bildungsmoduls zur politischen Bildung für die Schulen. Eine aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an der Politik im Bezirk wäre wünschenswert und fördert und fordert die/den mündige/n Bürgerin und Bürger. Dafür ist es wichtig sowohl die Aufgaben und Möglichkeiten der lokalen Verwaltung kennen zu lernen sowie sich mit der lokalen Politik auszutauschen. Wir bieten diesen Dialog gerne an.

Perspektivisch müssen den Bezirken deutlich mehr Kompetenzen und Finanzmittel zur Verfügung stehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben viele Beschlüsse in den Bezirken nur einen empfehlenden Charakter. Wenn die Bezirksversammlung etwas beschließt, hat der Senat die Möglichkeit, diesen Beschluss zu ändern oder gar aufzuheben. Die Evokationspraxis des Senats gegenüber unerwünschten bezirklichen Beschlüssen widerspricht dem Gedanken der Demokratie und hat auf Bürgerinnen und Bürger eine abschreckende Wirkung. Dieses Prinzip verstärkt den Eindruck, dass die Politik im Bezirk eh nichts entscheiden bzw. durchsetzen kann.

Ein Ort für Bürger, wie z. B. ein Bürgerbeteiligungsbüro, was Interessierte unabhängig von Politik und Verwaltung berät, würde den  Prozess der Bürgerbeteiligung glaubwürdig voranbringen.“

Für die Neuen Liberalen hat Fraktionsvorsitzender Kay Wolkau geantwortet. Die Neuen Liberalen haben in der Bezirksversammlung vier Sitze.

„Um mehr Beteiligungsmöglichkeiten und Transparenz herzustellen fordern wir in einer ersten Stufe  konkrete, pragmatische und relativ einfach umzusetzende Maßnahmen, wie sie bereits in unserem aktuellen Antrag an die BV (siehe: www.harburg-aktuell.de/news/politik/bezirksversammlung-opposition-will-mit-burgerbeteiligung-punkten.html ) formuliert worden sind.

Darüber hinaus fordern wir weitere konkrete Neuerungen: 

Für die Bürgerinnen und Bürger ist es, um den Debatten in der BV folgen zu können, von besonderem Interesse, welche Anträge die Fraktionen im Einzelnen diskutieren.

Um nachvollziehbarer zu machen, über welche Inhalte die Angeordneten diskutieren, wäre eine Darstellung der Anträge auf einer großen Leinwand oder einem großen Bildschirm während der BV-Sitzungen hilfreich.

Für diejenigen, die etwa aus Zeitgründen Schwierigkeiten haben, die BV-Sitzungen zu verfolgen, sind Live-Streams – wie bei der Hamburgischen Bürgerschaft üblich - auch für die Bezirksversammlung zu empfehlen.

Diese Vorschläge verstehen sich als Basis für eine weitere Verbesserung  von Bürgerbeteiligung und Transparenz, die es stets fortzuentwickeln gilt.“

Für die AfD hat Fraktionsvorsitzender Ulf Bischoff geantwortet. Die AfD hat in der Bezirksversammlung drei Sitze.

„Normalerweise denken die Bürger nicht ständig an die BV. Warum auch? Deshalb muss, um überhaupt Interesse zu wecken, zumindest der jeweilige Termin der BV zeitnah vor der Sitzung bekannt gemacht werden. Dazu gibt es erst einmal die Möglichkeit, auf den Internetseiten des Bezirkes jeweils in der Woche vor der Sitzung bis zur Sitzung ein Pop-up-Fenster mit dem Hinweis auf die Sitzung. Da könnte man direkt auf die Tagesordnung verlinken. Dies ist sicherlich mit minimalem Kosten- und Pflegeaufwand zu realisieren.

Es könnten auch Informationen über die regionalen Anzeigenblätter und andere Medien verteilt werden.

Die Situation für die Besucher ist im großen Sitzungssaal nicht übermäßig komfortabel. Man könnte, zumindest ab und an, sie Sitzung im SDZ-Mehrzwecksaal stattfinden lassen. Da ist zumindest für ausreichend Besucherplätze gesorgt. Daneben ist dort ein Beamer installiert, sodass ggf. eine erläuternde Grafik oder die Tagesordnung visualisiert werden könnte.

Generell am Ablauf der Sitzung mit den Redebeiträgen und Abstimmungen kann wahrscheinlich nicht allzu viel geändert werden, außer vielleicht wie schon oben genannt die Nutzung der heute gängigen technischen Visualisierungsmöglichkeiten. Die Debatten müssen erhalten bleiben, und hier haben auch selbstverständlich Abgeordnete Rederecht, deren Beiträge nicht zu den Perlen der Rhetorik gehören.

Die Länge der Sitzung trägt auch nicht gerade zur Besucherfreundlichkeit bei, dreieinhalb Stunden mehr oder weniger ermüdende Abstimmungen wären auch für Wagner-Liebhaber eine echte Herausforderung...“

Für die FDP hat der Bezirksabgeordnete Carsten Schuster geantwortet. Die FDP ist mit zwei Sitzen in der Bezirksversammlung vertreten.

„Aus Sicht der Freien Demokraten muss die Bezirksversammlung transparenter werden und sie muss sich in der Öffentlichkeit bekannt machen. Bürgerfragestunden in allen Ausschüssen, Newsletter des Ratsinformationssystems, BV vor dem Rathaus, Ausschüsse die auch mal vor Ort tagen, ein regelmäßiger Infotag über die Arbeit der BV vor dem Rathaus  und die Zusammenarbeit mit Schulen würde die Bekanntheit der BV steigern. Schätzungsweise wissen 90 Prozent der Bürger gar nicht, dass es  in Harburg eine Bezirksversammlung gibt.

Die Bezirksversammlung verliert leider an Ansehen in der Bevölkerung. Grund dafür ist die Entwicklung der politischen Kultur vor Ort. Es wird höchste Zeit, dass das Niveau der politischen Auseinandersetzungen sich verbessert. Eine lösungsorientierte, sachliche Politik und demokratische Umgangsformen steigern die Akzeptanz und sorgen auch für mehr Interessenten, die die Ausschüsse und Sitzungen der BV besuchen.

Die Bezirke müssen mehr Kompetenzen erhalten um die Interessen der Bürger auch tatsächlich vertreten zu können. Die BV ist in zu vielen Fällen nur Bittsteller an den Senat, die geringen Entscheidungskompetenzen sorgen dafür, dass die Bürger sich von der Bezirkspolitik abwenden. Eine grundlegende Reform und Stärkung der Bezirke ist überfällig.“

Die Überlegungen von Mitgliedern des BV-Präsidiums dokumentiert harburg-aktuell.de in einem zweiten Teil. ag

Veröffentlicht 26. Mai 2015