Von Gewinnern und Verlierern im Kampf ums Bürgerschaftsmandat

LorkowskiPeterHarburg –  Togo-Frank ist jetzt Frank to go. Der Verkehrsexperte der Harburger SPD, der vor vier Jahren noch für Schlagzeilen sorgte, als er nach einem Afrika-Urlaub das Flugzeug

verpasste und damit beinahe die Wahl von Olaf Scholz zum Bürgermeister gefährdete, hat es diesmal nicht geschafft. Mit einem  eher durchschnittlichen  persönlichen Ergebnis hat Frank Wiesner aus Neuland kein Mandat mehr in der Bürgerschaft. Nach mehr als 21 Jahren in politischen Gremien nimmt er das Aus gelassen: „Jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt: Privatleben.“

Des einen Leid, des anderen Freud: Überraschend schaffte Doris Müller vom scheinbar aussichtslosen Platz 37 der SPD-Landesliste mit einem glänzenden persönlichen Ergebnis wieder den Sprung ins Landesparlament. Schon vor vier Jahren hatte sie überrascht: Mit „Krankenschwester-Bonus“ und einer günstigen Platzierung auf dem Wahlzettel (Seite 2, ganz oben...) war sie plötzlich Bürgerschaftsabgeordnete. Obwohl sie im Gegensatz zu manch anderer Genossin recht fleißig war, sich um soziale Einrichtungen kümmerte und es sogar auf sechs Reden in der Bürgerschaft brachte, gehörte sie nie zum engeren Machtzirkel der Harburger SPD. Die umtriebigsten Strippenzieher nahmen sie nicht ernst und rechneten fest damit, dass sie eine zweite Überraschung nicht schaffen könnte.

Neben Doris Müller schickt die Harburger SPD fünf weitere Abgeordnete – also einen weniger als bisher – ins Hamburger Rathaus. Sören Schumacher und Birte Gutzki-Heitmann im Wahlkreis Harburg und Brigitta Schulz und Matthias Czech im Wahlkreis Süderelbe waren allerdings zuvor von ihrer Partei auf den Plätzen eins und zwei so gut abgesichert worden, dass ihnen eigentlich nichts mehr passieren konnte. Das gilt auch für Dr. Melanie Leonhard, die dank ihrer hervorragenden Kompetenz in der Sozialpolitik auf Platz sechs der Landesliste gesetzt war.

Die CDU lag auch am Tag nach dem Wahldebakel noch am Boden. Dass das schon unfassbar schlechte Ergebnis von Christoph Ahlhaus vor vier Jahren noch nicht das Ende der Demütigungen war, hatten die meisten nicht erwartet, manche hatten es zumindest geahnt. War es doch falsch, eine personelle Erneuerung nur halbherzig anzupacken? War es gar verhängnisvoll,  sich nach Ole von Beust weiter als liberale Großstadtpartei dahin treiben zu lassen – ohne inhaltliche Debatte, mit wenig Unterschieden zu den Mitbewerbern und mit viel Platz für eine rechte Alternative? André Trepoll hat in Süderelbe wenigstens für einen kleinen Lichtblick gesorgt. Er konnte sein persönliches Ergebnis im Wahlkreis steigern und der CDU mit 24,1 Prozent das zweibeste Ergebnis aller Hamburger Wahlkreise bescheren. Birgit Stöver gab sich im Wahlkreis Harburg ebenfalls keine Blöße und wird nun in der Bürgerschaft in der arg dezimierten CDU-Fraktion zusammen mit Trepoll Harburg vertreten.

Harald Krüger, der vor vier Jahren im Ahlhaus-Strudel aus der Bürgerschaft weggespült wurde und in den vergangenen Wochen als Nachrücker noch ein wenig Parlamentsluft schnuppern konnte, mag sich trösten: Selbst ein gutes persönliches Ergebnis auf der Landesliste hätte ihm nicht viel gebracht. Nach dem Desaster kommen nur zwei CDU-Kandidaten von der Landesliste in die Bürgerschaft. Krüger war auf Platz zehn platziert.

Ganz anders bei der Linken: Die Bezirksabgeordnete Sabine Boeddinghaus hatte auf Platz drei der Linke-Landesliste kandidiert. Da die Linke kaum Abgeordnete über die Wahlkreise gewinnt, war das eine sichere Bank. Boeddinghaus ist sicher ein Verlust für die Bezirksversammlung, die Rolle der Oppositionsführerin (kann auch ein Mann übernehmen) ist ab sofort wieder zu besetzen. Für Boeddinghaus wird der Presse-Fotograf André Lenthe nachrücken, er war in den vergangenen Monaten hinter den Kulissen schon recht rührig. Und für den ersten Auftritt in der Bezirksversammlung hat er sich für seine Pressekollegen schon eine Überraschung ausgedacht....

Der Jubel aus dem FDP-Abgeordnetenbüro am Sand war gestern Nachmittag bestimmt in der ganzen Innenstadt zu hören: Kurt ist drin! Against all odds – wie der Engländer sagen würde. Vor Wochen bei Umfragewerten um die zwei Prozent noch am Boden, haben Dr. Kurt Duwe und sein Wahlkreis-Mitarbeiter, der FDP-Bezirksabgeordnete Carsten Schuster, immer an den Erfolg geglaubt: „Wir schaffen das!“, tönten sie vor zwei Wochen noch bei einer Pressekonferenz, über die dann wenig berichtet wurde. Niemand wollte Märchen verbreiten. Am Ende siegte tatsächlich der Gute, einer der fleißigsten Bürgerschaftsabgeordneten überhaupt.

Bei den Grünen hatte zumindest Dr. Gudrun Schittek aus Cranz fest daran geglaubt, dass sie die erste Harburger Bürgerschaftsabgeordnete seit Manuel Sarrazin (2004 bis 2008) werden könnte. Immerhin hatte sie als Newcomerin bei der Bezirksversammlungswahl vor einem Jahr die beste Steigerungsrate aller Hamburger Kandidaten der Grünen vorweisen können. Doch sie muss jetzt erkennen, dass Aktivitäten rund um die Uhr und nahezu regelfreies Plakatekleben keine Erfolgsgarantie sind. 5,4 Prozent im Wahlkreis Süderelbe sind für sie sicher eine Enttäuschung.

Gestern Abend im Stadtplanungsausschuss nahm Peter Lorkowski (Foto oben) noch Glückwünsche entgegen. Der Ex-Schill-Bürgerschaftsabgeordnete sollte für die AfD über die Landesliste wieder ein Mandat bekommen. Sein Nachrücker für die Bezirksversammlung, der ehemalige Schatzmeister der Harburger Grünen Gerd Abrolat, saß neben Lorkowski und freute sich mit. Doch später am Abend schlug das Wahlrecht zu: Auf der Landesliste der AfD zog in letzter Minute noch ein zweites Personenstimmen-Mandat, und Lorkowski war wieder Bezirksabgeordneter.

So war er an einem Tag zweimal an den Besonderheiten des neuen Wahlrechts gescheitert. Im Wahlkreis Harburg lag Lorkowski mit 11.840 persönlichen Stimmen hinter Sören Schumacher (SPD, 24.237) und Birgit Stöver (CDU, 16.849) überraschend an dritter Stelle. Vor Birte Gutzki-Heitmann (SPD, 9.677) und Peter Schulze (Grüne, 8.691)! Wer nun aber gedacht hat: In einem Dreier-Wahlkreis kommen die drei Kandidaten – egal von welcher Partei – mit den besten persönlichen Ergebnissen rein, sah sich getäuscht. Es werden nämlich auch die Stimmen berücksichtigt, die für die anderen Kandidaten der jeweiligen Partei abgegeben worden sind. Und deshalb rückte Gutzki-Heitmann als dritte Kandidatin wieder in die Bürgerschaft.

Damit bewahrte das Wahlrecht die Genossen auch vor einer schallenden Ohrfeige für ihre Haltung bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Es ist den Wählern nicht entgangen, dass ihre Harburger SPD  nur halbherzig Widerstand leistete, als die Sozialbehörde nach der Zentralen Erstaufnahme am Bahnhof weitere Unterkünfte in unmittelbarer Nähe platzierte. Die Quittung kam prompt: Gerade im Umfeld der Unterkünfte war Lorkowski besonders stark, im Wahllokal am Großmoordamm holte er sogar die meisten Stimmen aller Kandidaten. ag