Kulturausschuss: Viel Gezänk um Geld und Anne Frank

Harburg – Die politische Kultur in Harburg ist in der vergangenen Woche auf einem – nicht für möglich gehaltenen – Tiefpunkt angelangt. Und offenbar vertrauen die Akteure

darauf, dass es keiner merkt. Konsequenzen sind jedenfalls nicht in Sicht.

Es war zu später Stunde in der Bezirksversammlung. Bis auf wenige Ausnahmen hatten die Bürger, für die ja eigentlich Politik gemacht werden soll, den großen Ratssaal schon verlassen, als Tülin Akkoc von den Grünen den Antrag stellte, das Bezirksamt solle doch einmal prüfen, ob eine der Wanderausstellungen über das Leben der Jüdin Anne Frank und ihren Tod im KZ Bergen-Belsen nach Harburg geholt werden könnte.

Das sollte eigentlich ein Selbstgänger sein – auch wenn die Harburger GroKo schon wiederholt demonstriert hat, sie habe das Exklusivrecht auf sinnvolle politische Initiativen. Und so kam es auch diesmal, allerdings mit kaum zu überbietender Peinlichkeit. CDU-Fraktionsvize Uwe Schneider begrüßte zunächst den Antrag der Grünen, um ihn dann mit einem Änderungsantrag bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln. Sein Argument, man dürfe den Jugendlichen nicht vorschreiben, wofür sie sich interessieren sollen, könnte genauso gut herhalten, um für die Abschaffung der Schulpflicht zu plädieren. Da man ja auch nicht wisse, ob Harburger Schüler eventuell schon  die Anne-Frank-Ausstellung in Ottensen besucht haben, müsse man erst einmal alle Schulen abfragen und den Bedarf analysieren.

Die Ergebnisse der Analyse sollen dann im Ausschuss Kultur, Freizeit, Sport vorgestellt werden und nicht –wie man denken könnte – im Jugendhilfeausschuss oder im Ausschuss Soziales, Bildung und Integration. Warum denn im Kulturausschuss? Schneider: „Es ist eine Ausstellung. Das ist doch Kultur.“ Wenn man ihm folgt, muss sich der Kulturausschuss bald wohl auch mit den Reptilienausstellungen im Phoenix-Center beschäftigen.

Die stärkste Fraktion in der Bezirksversammlung hätte diese Peinlichkeit mit ihren 19 Abgeordneten stoppen können. Aber die SPD-Fraktion verfiel in Duldungsstarre und stimmte dem Änderungsantrag der CDU zu – bis auf die Abgeordnete Pinar Esir. Sie hatte Rückgrat und stimmte gegen Schneiders Peinlichkeiten.

Ein Tiefpunkt? Nein, es ging noch tiefer! Zwei Tage später hatte der Kulturausschuss darüber zu befinden, wie die Mittel zur Förderung der Stadtteilkultur in Harburg künftig verteilt werden sollen. Dort ist nämlich Ungeheures geschehen: Statt wie gewohnt auch bei der Kultur weitere Sparvorgaben durchzusetzen, hatte die Kulturbehörde die Verteilung des Gelds auf die Bezirke neu bewertet. Und siehe da: Für Harburg gibt es 2017 zusätzlich zu den bisherigen Mitteln 47.000 Euro und 2018 noch einmal 46.000 Euro.

Wer die Finanzlage der Harburger Kulturinstitutionen kennt, weiß, dass damit nur ein paar Löcher gestopft werden können. Trotzdem geschah etwas ungeheuer  Positives. SuedKultur, so heißt der bunte Haufen Kulturschaffender im Hamburger Süden, der begriffen hat, dass man gemeinsam stärker sein kann. Und so hatten sie sich zusammengesetzt und überlegt, wie man die Mittel sinnvoll verteilt und neues Kreativpotential unterstützt – auch wenn für die eigene Institution mit Verzicht verbunden wäre. Das trugen SuedKultur-Sprecher Heino Langanke, Gorch von Blomberg von der KulturWerkstatt, Jan Pastoors und Stephan Kaiser vom Kulturhaus Süderelbe, Mathias Lintl vom „Refugium für urban gestresste Menschen“ in Neuenfelde und einige mehr im Kulturausschuss vor, diskutierten mit der Verwaltung und unter anderem mit Lars Frommann (CDU), Heinke Ehlers (Grüne), Barbara Lewy (Neue Liberale) und André Lenthe (Linke) und entwickelten die Idee, bei einem Workshop in den ersten Monaten des neuen Jahres gemeinsam über die Verteilung der zusätzliche Mittel zu entscheiden. Merkwürdig: Den Vertretern der stärksten Fraktion in der Bezirksversammlug fiel dazu nichts ein. Die SPD schwieg. War das nun Inkompetenz, Ignoranz oder gar Arroganz?

Dann beendete Ausschussvorsitzende Ralf-Dieter Fischer (CDU) den öffentlichen Teil der Sitzung, alle mussten den Saal verlassen, nur die Abgeordneten und die Vertreter der Verwaltung durften bleiben – denn es gab noch eine Vorlage der Verwaltung. Die hatte sich nämlich auch schon Gedanken über die Verteilung der zusätzlichen Mittel gemacht. Und das sei grundsätzlich vertraulich. Heiko Langanke machte noch einen Versuch, das Verfahren ausnahmsweise zu ändern: „Die Kulturinstitutionen haben voreinander keinerlei Geheimnisse, jeder weiß, wie es um die Finanzen der anderen steht.“ Es blieb dabei: Jetzt wurde es vertraulich.

Es dauerte aber nicht lange, bis einige der „Vertraulichkeiten“ nach draußen gedrungen waren. So soll die SPD  plötzlich die Sprache wieder gefunden und den Antrag gestellt haben, nicht auf den gemeinsamen Workshop zu warten und die zusätzliche Mittel zumindest für 2017 nach dem Vorschlag der Verwaltung zu verteilen. Man wolle für die Kulturinstitutionen „Planungssicherheit“ schaffen, war das Argument. Das hätte man den Kulturschaffenden doch auch schon im öffentlichen Teil sagen können!

Auf der Strecke würde ein in Hamburg einzigartiger Versuch bleiben, die Mittel gemeinsam mit den Kulturschaffenden zu verteilen. Offenbar glauben einige Abgeordnete, sie verteilten „ihr“ Geld und deshalb müssten allein sie darüber entscheiden. Klar, dass die GroKo dann auch so entschied. ag