Neugraben-Fischbek: So sieht Harburgs Politik den Bürgervertrag

160616Aschenalnd2Harburg – Der Hamburger Senat und das Bezirksamt Harburg haben mit der Bürgerinitiative „Nein! zur Politik – Ja zur Hilfe!“ einen so genannten „Bürgervertrag“ geschlossen.

Er soll die Unterbringung von Flüchtlingen im Bereich Neugraben-Fischbek regeln. Hauptziel der Senatsvertreter und der beiden Bürgerschaftsfraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) war indes, die Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“ zu stoppen.

Auffallend: Zunächst hatte Ralf-Dieter Fischer, CDU-Fraktionschef in Harburg, die Unterschrift unter den Vertrag verweigert, in letzter Minute zog sich auch SPD-Fraktionschef Jürgen Heimath zurück. In einer Presserklärung begrüßt er zwar „grundsätzlich“ den Vertrag, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass es längst zwei Beschlüsse der Bezirksversammlung gibt, in der mögliche Lösungsansätze für „die Stärkung der sozialen und sonstigen Infrastruktur in Neugraben-Fischbek“ benannt werden.

Heimath lobt auch das Engagement der Bürgerinitiative, sagt aber auch: „Bürgerinitiativen vertreten immer nur die Meinung derjenigen, die sich der Initiative angeschlossen haben. Eine darüber hinausgehende Legitimation haben sie – anders als die gewählten Abgeordneten in der Bezirksversammlung – nicht.“ Deshalb müsse sehr genau darauf geachtet werden, dass durch derartige Vereinbarungen keine Unklarheiten entstehen, welche Kompetenzen demokratisch gewählte Gremien wie die Bezirksversammlung und ihre Ausschüsse haben.

Noch deutlicher wird Ralf-Dieter Fischer: „Bürgerinitiativen haben kein allgemeines politisches Mandat. Sie maßen sich aber an, nicht nur bei der Unterbringung von Flüchtlingen, sondern bei allen Themen des Bezirks mitreden zu können.“ Diese Position habe der Senat mit Abschluss dieses Vertrags auch noch unterstützt und aufgewertet.

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Das Areal für die Flüchtlingsunterbringung in neugraben-Fischbek. Foto: zv

Bei den Grünen sieht man das ganz anders. So lobt Bürgerschaftsfraktionschef Anjes Tjarks den Vertrag als „guten Schritt für die politische Kultur in unserer Stadt“.  Klar, dass auch die Harburger Grünen jubeln: „Wir begrüßen diesen Vertrag sehr. Denn er zeigt, dass es möglich ist zu guten Lösungen zu kommen, wenn man die Bürgerinnen an Planungen beteiligt“, sagt Fraktionschefin Britta Herrmann. Als ehemalige Vorsitzende des Harburger Jugendhilfeausschusses kann sie offensichtlich gut damit leben, dass in dem Vertrag „mehr als 50 Prozent“ der Mittel für offene Kinder- und Jugendarbeit dem Raum Süderelbe zugeteilt wird – „in Abstimmung mit den bezirklichen Gremien“. Wie das mit der bundesgesetzlichen Sonderregelung für Jugendhilfeausschüsse in Einklang zu bringen ist, die ihnen die alleinige Kompetenz zur Verteilung der Mittel zuschreibt, bleibt indes offen.

Und das sind die wichtigsten Vereinbarungen: Das zunächst geplante „3000er Flüchtlingsdorf“ am Rand des Neubaugebiets Vogelkamp ist passé. Es schrumpft auf 700 Plätze in Pavillons, für 300 weitere Flüchtlinge – bevorzugt Familien mit Kindern – werden Reihenhäuser errichtet. Gleichzeitig sollen im gesamten Bezirk weitere Flächen für ähnliche Reihenhaussiedlungen gesucht werden. Damit soll eine bessere „Durchmischung“ erreicht werden. Die Zahl der Flüchtlinge im Bereich Neugraben-Fischbek darf bis spätestens 30. Juni 2018 nicht über 1500 steigen.

Der Vertrag sieht auch Nutzungsfristen vor: So soll die Erstaufnahme Geutensweg (ehemals OBI) spätestens am 30. Juni 2017 aufgelöst werden – um dann noch zwei Jahre als Reserve vorgehalten werden. Die schon bestehenden Folgeeinrichtungen Am Aschenland 1 und Cuxhavener Straße werden spätestens in fünf Jahren zurückgebaut, Am Aschenland II zehn Jahre nach Fertigstellung.

Darüber hinaus soll der gesamte Stadtteil als RISE-Gebiet (RISE = Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung) gefördert werden und einen eigenen Quartiersbeirat bekommen. Dieser soll kurioserweise auch die spätere Nutzung des ehemaligen OBI-Markts „erörtern“, obwohl sich die Bezirksversammlung längst für die dringend benötigte zusätzliche Feuerwache entschieden hat.

Für Verwunderung sorgt die Vereinbarung, die öffentlich geförderten SAGA/GWG-Wohnungen im geplanten Neubaugebiet Fischbeker Reethen (Sandbek-West) „vorrangig mit Geflüchteten aus den Unterkünften im Stadtteil“ zu belegen.  Bisher  galt eine Senatsdrucksache, in der dieses Quartier ausdrücklich auf dem freien Wohnungsmarkt – ohne jegliche Präferenz – angeboten werden sollte.

Schließlich sollen die schulische und medizinische Versorgung im gesamten Stadtteil verbessert und der Öffentliche Personennahverkehr verstärkt werden.

Ach, ja: Die Bürgerinitiative hat sich verpflichtet, auf juristische Schritte gegen die Unterkünfte zu verzichten. Das will sie auch tun, stattdessen liegen dem Bezirksamt inzwischen mehrere Klagen von Bürgern vor, die nicht Mitglied der Initiative sind. ag

Veröffentlicht 16. Juni 2016