Podiumsdiskussion zu Medien: Was braucht Harburg?

130814PodiumHarburg – Nein, eine Antwort gab es nicht. „Welches Medienangebot braucht Harburg nach dem Aus für die HAN?“, hatte channel hamburg und die

Online-Community binimhafen gefragt und zu einer Podiumsdiskussion ins TuTech-Haus eingeladen. Auf dem Podium saßen mit Lars Haider, Chefredakteur vom Hamburger Abendblatt, und Marcel Maack, Vize vom Winsener Anzeiger, durchaus Leute vom Fach. Was Harburg aber „braucht“, können auch sie nur ahnen.

Peter Noßek, Fotograf und Harburger, konnte immerhin sagen, was er will: „Ich möchte in Ruhe frühstücken und dazu meine Lokalzeitung lesen.“ Und da die durchschnittliche Lebenserwartung – auch für Männer – heute bei rund 80 Jahren liege, möchte er den Tag noch mehrere Jahrzehnte so beginnen. Mit einer Zeitung in der Hand, und nicht mit einem Tablet-Computer. Nun wird ihm das schon in absehbarer Zeit schwerer gemacht: Die Harburger Anzeigen und Nachrichten, am 5. Oktober 1844 mit einer Auflage von nicht einmal 300 Exemplaren gestartet, erscheinen am 30. September zum letzten Mal. Schluss! Das Aus nach 169 Jahren. Sang- und klanglos.

Nicht nur Peter Noßek verliert seine Lokalzeitung, immerhin ist die HAN (sprich: „Hann“, manche sagen auch „Hahn“) am Ende des zweiten Quartals 2013  noch Tag für Tag rund 12.000 gekauft oder im Abo bezogen worden, die Zahl der Leser liegt deutlich höher . Allerdings: Vor zwei Jahren lag die Auflage noch bei rund 15.000 Exemplaren. Die Verluste konnten auch mit einem neuen Konzept nicht entscheidend gestoppt werden (oder gerade deswegen?). Trotzdem war zu hören, dass „die Lühmannsche“ noch schwarze Zahlen schreibt. Die Bilanzen sind Geschäftsgeheimnisse, aber auch wenn bisher noch ein Plus erwirtschaftet wird, ist abzusehen, dass sich die Kurven von Ertrag und Kosten irgendwann schneiden. Und dann wird’s Rot.

Dass das nicht unbedingt eine Frage der Auflage ist, unterstrich Marcel Maack. Die Verantwortlichen beim  Winsener Blatt scheint sich noch keine Zukunftssorgen zu machen. Dabei ist es bei der Auflage schon lange unter der 10.000er-Marke, im zweiten Quartal 2013 wurden täglich gerade einmal 8900 Exemplaren verkauft – aber damit war die Auflage gegenüber 2011 (9500 Exemplare) fast stabil. Maack: „Den ländlichen Bereich trifft es offenbar weniger hart.“

Das Quartalsschielen auf die Auflagenzahlen (siehe: www.ivw.de) muss also nicht unbedingt letzten Aufschluss über die Lebenserwartung von klassischen Tageszeitungen geben. Auch Lars Haider, dem es eine Zeitlang zum Beispiel als Redaktionsleiter der Elmshorner Nachrichten noch gelang,  gegen den Trend die Auflage zu steigern, konnte beim Hamburger Abendblatt im Printbereich keine Wunder mehr bewirken. In den zwei Jahren seit seinem Amtsantritt verlor die Zeitung rund 20.000 verkaufte Exemplare und liegt jetzt unter der 200.000er-Marke. Trotzdem ist Haider optimistisch: „Wir haben gleichzeitig unsere Reichweite deutlich gesteigert.“ Gemeint ist das Online-Angebot – natürlich auch eine Botschaft an Anzeigenkunden...

Dass sich der Wechsel von Print auf Online wirklich rechnet, ist bisher nicht bewiesen. Die Axel Springer AG hat inzwischen resigniert und immer noch gewinnbringende Zeitungen wie das Hamburger Abendblatt und die Berliner Morgenpost verkauft. Verlegerin Friede Springer hat in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung noch nachgelegt: „Das Alte ist vergangen. Wirklich vergangen.“  Und schon klagen Harburger Anzeigenvertreter , diese Aussage sei für den Verkauf von Printanzeigen kaum hilfreich.

Also alles auf Online? Isabella David, Politikstudentin und gebürtige Harburgerin, will mit ihrem Online-Magazin „mittendrin“ die Lücken in der lokalen Berichterstattung füllen. Sie versucht es mit einem kleinen Redaktionsteam im Bezirk Mitte – und hofft, „ihre Mitarbeiter eines Tages bezahlen zu können“. Bisher ist das nicht drin. Sie verkaufe zwar einige Artikel an die Tageszeitung (taz), aber im Vergleich zu den Kosten für eine Redaktion können die Einnahmen nur peanuts sein. Das Anzeigengeschäft ist auch noch nicht angelaufen, trotzdem gab sich Isabella David in der Podiumsdiskussion optimistisch: „Wir werden andere Wege finden – zum Beispiel die Finanzierung durch Crowdfunding.“ Sie hält „mittendrin“ weiterhin für ein Erfolgsmodell und bot dem Plenum an, „zusammen mit Ihnen diese Online-Zeitung auch für Harburg zu entwickeln“.

Wirklich Neues hat die Podiumsdiskussion also kaum gebracht. Gelohnt hat sie trotzdem, denn gelegentlich war im „Hörsaal Hertz“ so etwas wie ein Harburger Gemeinschaftsgefühl zu spüren. Harburg community. Je mehr sie über die Zukunft der lokalen Medien redet, desto besser die Chancen, dass das Aus der  HAN keine allzu große Lücke reißt. Gelohnt hat sich die Diskussion vor allem wegen eines einzigen Satzes eines Geschäftsmanns aus dem Plenum. Er hatte noch einmal darauf hingewiesen, dass die Leute zwar für herkömmliche Tageszeitungen Geld bezahlen, im Internet wollen sie aber alles gratis. Im Klartext heiße das: „ Die Leute sind  nur bereit, fürs Papier zu zahlen.“ Ist das wirklich so? Jedenfalls ist es ein aufregender Denkanstoß, Stoff für eine weitere Diskussion!

Im Übrigen will Lars Haider jene Lücke mit einer Offensive der Harburger Regionalausgabe des Abendblatts so klein wie möglich halten. Täglich 50 Prozent mehr Seiten aus der Region verspricht er. Peter Noßek blieb skeptisch: „Dieses Heimatgefühl der HAN wird das nicht ersetzen.“

So mancher wird noch mehr vermissen. Es gab Zeiten, da waren Tageszeitungen mehr als nur Anzeigen und Nachrichten. Sie waren ein Vademecum (aus dem Lateinischen: „Geh mit mir“), ein unentbehrlicher Begleiter für den Alltag. Sie halfen dem Leser, die Welt – und sei es nur die kleine Welt um ihn herum – zu verstehen. Das wäre heute wertvoller denn je. Vielleicht braucht Harburg ein aktuelles Online-Magazin mit lokalen Nachrichten und –  nicht nur zur Lektüre beim Frühstück – ein monatliches oder gar wöchentliches Printmagazin zum Blättern, Stöbern, Lesen, Staunen und Kucken. Stoff dafür gibt’s in Harburg im Überfluss. Geht das? Wie sagte Unternehmer Arne Weber in der Diskussion: „ Wenn ein Bedarf vorhanden ist, wird sich das auch rechnen.“ ag