3000 Geflüchtete in den Vogelkamp: Wat mutt dat mutt!

150925FluchtNeugraben - Vier männliche Anzugträger, wo sonst zweimal sechs Volleyballerinnen herumhüpfen, und ein Ergebnis, das vorher feststand: gelebte Demokratie

in der CU Arena. Das Motto des Abends: „Quartiersentwicklung Am Aschenland/Geutensweg“. Bernd Krösser, Staatsrat der Innenbehörde, Bezirksamtsleiter Thomas Völsch, DRK-Kreisgeschäftsführer Harald Krüger und Heie Kettner von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration informieren rund 1500 Bürger über einen neuen Stadtteil auf den Fischbeker Wiesen, der in Rekordzeit entstehen soll und der die Einwohnerzahl von Fischbek um mehr als zehn Prozent auf über 30.000 steigen lässt.

Und im Klartext: Die Stadt plant, hier im Hamburger Süden direkt neben der neuen Zentralen150925Flucht2 Erstaufnahme im alten OBI-Markt mit knapp 700 Plätzen ihr erstes Massenlager für gut 3000 Geflüchtete aufzubauen. Da so etwas mit dem für alle Bürger geltenden Baurecht nicht zu wuppen ist, greift der Senat kurzerhand zum Polizeirecht – um „Obdachlosigkeit zu vermeiden“.

Krösser, Experte für „Grundsatzfragen der öffentlichen Sicherheit und Terrorbekämpfung“ und bis Ende Juni noch Sicherheitschef in der Innenbehörde, fängt an. Kurz und knapp erzählt er, was längst bekannt ist: Auf dem westlichen Baufeld des Vogelkamps werden 100 Holzhäuser aufgestellt, Im Februar sollen die ersten fertig sein. 1500 Bürger hören zu. Dann der Schock: Krösser zeigt eine Übersichtskarte, zum erstenmal wird den Fischbekern klar, wie viel Platz die neue Unterkunft einnehmen wird. „Ihr“ Naherholungsgebiet, wo sie ihre Hunde ausführen, wo sie joggen, Enten füttern oder einfach die Natur beobachten - mit einem Schlag alles weg. „Seid ihr wahnsinnig?“, ruft einer in den Saal.

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1500 Bürger kamen in die CU-Arena. Foto: mag

Der Staatsrat lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, zeigt Fotos von grauen Holzhäusern in einer anderen Unterkunft, ergänzt dann noch: „Ob sie in dieser Farbe kommen oder in einer anderen, ist noch nicht raus.“ Bei einem ehemaligen Polizisten, für den Deeskalation zu den täglich geforderten Tugenden gehört, erwartet man ein wenig mehr Fingerspitzengefühl. Aber Krösser ist noch nicht am Ende. Ein besorgter Bürger fragt, ob denn die Wache 47 personell aufgestockt werde, zwei Streifenwagen würden doch kaum ausreichen - zumal nicht nur die 3000er Unterkunft sondern auch die bekanntermaßen etwas heiklere Erstaufnahme bei OBI  dazukomme. Krösser kontert: „Da wird nichts aufgestockt.Buh-Rufe! Krösser weiter. „Die Sicherheitslage solcher Unterkünfte ist weitgehend unauffällig.“ Einer ruft: „Unglaublich:“ Und das klang schon nach Wutbürger.

Dass Krösser das ernst gemeint hat, belegt auch die Antwort der Innenbehörde auf eine Kleine Anfrage der Rahlstedter FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Jennyfer Dutschke. Sie hatte ebenfalls nach der Sicherheitslage gefragt. Antwort: „Der Senat sieht derzeit keinen Änderungsbedarf, da die Sicherheit durch die Sicherheitsbehörden sowie ergänzend durch private Sicherheitsdienstleister gewährleistet ist.“

Eins muss man Krösser zugestehen: Er hat reinen Wein eingeschenkt. Er sagt den Leuten klipp und klar, es sei eine Illusion, dass die Flüchtlinge bald wieder gehen. Und er sagt den Leuten, es sei eine Illusion zu glauben, dass wir die Flüchtlinge weiterhin in „kleinen kuscheligen Einheiten“ unterbringen können. Ja, er hat wirklich „kuschelig“ gesagt. Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde, hat den gleichen Umstand ein wenig sozialverträglicher ausgedrückt: „Die Realität ist: Wir bekommen schlicht nicht genug Personal mehr für viele kleinere Einheiten.“

Schon steht eine neue Sorge im Raum: Was ist, wenn für all die Programme zur Integration der neuen Nachbarn, die jetzt entwickelt werden sollen, die Fachkräfte fehlen? Gibt es überhaupt so viele Dolmetscherinnen, Erzieherinnen mit Sprachkenntnissen, Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen sowie deren männliche Kollegen?

Ein Bürger fragte die vier Anzugträger: „Wenn das mit der Integration nicht klappt: Wie sieht dann ihr Plan B aus?“ Hätte er früher gefragt, wären viele früher nach Hause gegangen. Thomas Völsch sagte nämlich: „Das Grundgesetz kennt beim Asyl keine Obergrenze. Deshalb müssen wir uns damit abfinden, dass die Integration funktionieren muss.“

Auch wenn Ex-Bezirksamtsleiter und Ex-Staatsrat Helmut Raloff noch einmal in die Bresche sprang und die Situation mit einem hamburgischen „Wat mutt dat mutt“ kommentierte, es blieb ein Unbehagen. Ja, Neugraben und Fischbek haben schon häufiger Flüchtlinge bei sich aufgenommen, zuletzt Russland-Deutsche und Leute aus dem Balkan. Nun kommen aber zum Beispiel mit den Syrern Menschen, die in einem ganz anderen Kulturkreis aufgewachsen sind. Es muss nicht die andere Religion sein, manchmal sind es Kleinigkeiten, die irritieren. Wer erinnert sich nicht an Meldungen, dass in der Zentralen Erstaufnahme auf dem Schwarzenberg ständig die Duschköpfe verschwanden? Einige werden gedacht haben: Aha, geklaut! Dabei hatte dies Phänomen einen ganz anderen Grund: In den meisten orientalischen Ländern gilt der Einsatz von Toilettenpapier als unhygienisch. Dort hängt auf den Klos einfach ein Wasserschlauch aus der Wand, mit dem der Unterleib gereinigt wird. Duschköpfe stören da nur.

Ein anderes Unbehagen formulierte ein Bürger, der früher einmal für die FDP in der Bezirksversammlung gesessen hat – nämlich Immo von Eitzen: „Es ist schon schräg: Erst versucht man von staatlicher Seite jahrelang recht erfolgreich, mögliche Bauherren im Vogelkamp und anderswo mit bizarren Festlegungen im Bebauungsplan, mit engen Vorgaben für Zaunlatten, Fensterrahmen, Gartenbepflanzung und vieles mehr zu vergraulen, und jetzt knallt die Stadt da mal eben mit Polizeirecht einen ganzen Stadtteil für Substandard-Wohnen hin.“ (ag)