Volker Rühe: Ein Heimfelder macht die Bundeswehr fit für die Zukunft

140923RueheHeimfeld – Vor neun Jahren zog sich der ehemalige Minister für Verteidigung, Volker Rühe, aus der Politik zurück. Jetzt ist er wieder aktiv. Als Vorsitzender der

"Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr" soll der Heimfelder die Konzeption für die Einsatzentscheidungen für die Bundeswehr neu gestalten. Im Privathotel Lindtner machte er bei einer von der Bürgerschaftsabgeordneten Birgit Stöver (CDU) seine Position klar. Deutschland muss angesichts neuer militärischer Strukturen und neuer Bedrohungen für die Nato-Partner verlässlicher werden.

Als Volker Rühe Bundesminister für Verteidigung war, war der eiserne Vorhang zwar schon gefallen. Das Blockdenken aus dem Kalten Krieg bestimmte die Militärstrategie. „Damals waren Kriege zu gefährlich“, sagt Rühe. Ein Konflikt zwischen Ost und West wäre zwangsläufig zu einem nuklearen Schlagabtausch geführt. Heute ist es anders. Kriege sind wieder führbar. Neue Bedrohungen durch nicht als Staat agierende Gegner wie Al Kaida lassen die atomare Abschreckung, die nach Auffassung von Rühe nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Krieg zwischen West und Ost verhindert hat, ins Leere laufen.

Harburg spielt laut Rühe eine Schlüsselrolle in der sicherheitspolitischen Entwicklung. „Die vielleicht wichtigste Veränderung, die es in den letzten 25 Jahren gegeben hat, wird immer noch unterschätzt, obwohl sie hier in Harburg in der Marienstraße geplant wurde. Das sind die Terroranschläge vom 11. September.“ Selbst das Überziehen der Amerikaner in der Nachrichtengewinnung hänge damit zusammen, dass hier die Geheimdienste die Gefahr nicht erkannt hatten. „Ich bin als Verteidigungsminister sehr gut beschützt worden“, sagt Rühe. „Aber es ging immer um die Gefahren der Vergangenheit.“ Heute könnten, und 9/11 war der Auftakt dazu, Einzelne und nichtstaatliche Organisationen mehr Schaden anrichten, als in der gesamten Geschichte Staaten anrichten konnten. Viele Generalstäbe wären nicht in der Lage gewesen, das durchzuführen, was in Harburg geplant wurde.“

Die europäischen Armeen der Zukunft, so das Fazit von Rühe, müssen arbeitsteilig arbeiten. Vieles sei für einzelne Länder zu teuer. Deutschland habe sich aber in der Vergangenheit als unverlässlicher Partner erwiesen. Sein Beispiel: Deutsche Soldaten waren bei Einsätzen aus dem Airborne Early Warning and Control System, kurz AWACS, abgezogen worden. Komplizierte militärische Strukturen, bei denen Soldaten aus mehreren Ländern Hand in Hand arbeiten, verlangten verlässliche Teilnehmer.

Dazu, davon geht Rühe aus, wird Europa schon bald deutlich mehr gefordert. Beispielsweise im Nahen Osten. „Die Amerikaner beziehen heute zehn Prozent ihres Öls durch die Straße von Hormus. Sie stellen 100 Prozent der Flugzeugträger in der Region. In zehn Jahren werde die Amerikaner 0 Prozent Öl brauchen, das durch die Straße von Hormus transportiert werden muss, weil sie durch Fracking genug eigenes Öl und Gas haben“, so Rühe. „Wer glaubt, dass sie dann noch 100 Prozent der Flugzeugträger in dieser Region stellen werden, der lebt nicht in dieser Welt.“ Die Europäer würden gezwungen sein, sich mit vergleichbaren militärischen Optionen dort zu engagieren, die für ein Land nicht finanzierbar seien. „Wir haben eine Situation in Europa, in der das Konzept der nationalen Armeen überholt ist“, so Rühe. Wenn man aber militärische Fähigkeiten teilt, müsse man sich entscheiden wie sie eingesetzt werden. „Dazu sind aber die Europäer noch nicht fähig“, so Rühe. Dabei werde man in vielen Bereichen gemeinsame Verbände aufstellen müssen. Rühe denkt da an einen gemeinsamen Drohnen-Verband oder zukünftige Abwehrsysteme.  „Das funktioniert aber nur, wenn solche transnationalen Fähigkeiten im Ernstfall verlässlich zur Verfügung stehen“, sagt Rühe. Der Abzug der deutschen Soldaten aus den AWACS seien „schlimme politische Fehler gewesen. In Zukunft, so sein Vorschlag, müssten Regierung und Parlament weit vorausschauende grundlegende Entscheidungen treffen und nicht mehr über jeden Einsatz einzeln entscheiden. zv