Harburger Wahlcheck: Konkrete Fragen an die Parteien

140523KandidatenHarburg – Wer kennt schon alle 172 Kandidaten auf den acht Wahlkreislisten, die sich am Sonntag  um die Stimmen der gut 100.000 Wähler bewerben? Oder die 165 Kandidaten,

die von ihren Parteien nach teilweise heftigem internem Gerangel auf die Bezirkslisten gesetzt wurden? Wahrscheinlich kennt kaum jemand auch nur die Hälfte der Kandidaten. Soll man deshalb nach Äußerlichkeiten entscheiden? Alle fünf Jahre ein Bezirks-Casting?
harburg-aktuell.de hat zumindest die Spitzenkandidaten der fünf bisher in der Bezirksversammlung vertretenen Parteien auf die Probe gestellt: Wofür steht ihr eigentlich? Was ist von euch und eurer Fraktion in den nächsten fünf Jahren zu erwarten?
 
harburg-aktuell.de: Mitten in der nächsten Legislatur steht auch die Wahl des Bezirksamtsleiters an. Was halten Sie von dem Vorschlag, die Wahl des Bezirksamtsleiters künftig enger an die jeweiligen Bezirkswahlen zu knüpfen und sie jeweils spätestens drei Monate nach Beginn der neuen Legislatur zu terminieren? Oder von dem Vorschlag, den Bezirksamtsleiter künftig sogar direkt wählen zu lassen?
 
Jürgen Heimath (SPD): Das aktuelle Bezirksverwaltungsgesetz ist erst seit wenigen Jahren in Kraft, damals hat man bewusst die jetzige Konstruktion gewählt. Eine engere Bindung an die Bezirkswahlen könnte Sinn machen, eine Direktwahl würde die Bezirksversammlung eher schwächen.
Ralf-Dieter Fischer (CDU): Dieser Vorschlag allein ist wenig praktikabel. Der Bezirksamtsleiter ist Chef der Verwaltung und nicht von den Bürgern gewählter politischer Gestalter mit demokratischer Legitimation. Eine Direktwahl wäre reizvoll, jedoch nur dann, wenn der Bezirksamtsleiter Oberbürgermeistern vergleichbare Rechte und Kompetenzen hätte.
Britta Hermann (Grüne): Bezirksamtsleiter und Bezirksversammlung sollten eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Vorhaben und Projekte sollten nicht durch unnötige „Hierachie- und Machtrangeleien“ geschwächt werden. Daher sollte die Amtszeit des Bezirksamtsleiters an die Legislatur angeglichen werden. Und er oder sie wird dann von der Bezirksversammlung gewählt.
Sabine Boeddinghaus (Die Linke): Die Linke hält viel von direkter Demokratie, deshalb ist der Gedanke, den/die Bezirksamtsleiter/in direkt zu wählen durchaus diskussionswürdig!
Carsten Schuster (FDP): Die Bezirksamtsleitung sollte in Zukunft direkt vom Volk gewählt werden. Wir wollen die Bezirke stärken und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erhöhen.
 
Diese Vorschläge könnten frühestens 2019 umgesetzt werden. Deshalb: Werden Sie nach jetzigem Erkenntnisstand Thomas Völsch wieder wählen? Wenn ja: warum? Wenn nein: warum nicht?
 
Heimath: Ja, der Bezirksamtsleiter macht eine ausgezeichnete Arbeit für die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Stadtteils. Wir sind sehr zufrieden.
Fischer: Ich werde den Amtsinhaber nicht wieder wählen, so lange er sich lediglich als Befehlsempfänger und Erfüllungsgehilfe versteht und nicht bereit ist, auch Harburger Interessen nachdrücklich zu vertreten.
Hermann: Ob Herr Völsch unsere Unterstützung bekommen würde, hängt davon ab, wie gut er bis zur nächsten Wahl  mit unserer Fraktion zusammengearbeitet hat.
Boeddinghaus: Nein. Die Linke hat ihn noch nie gewählt und wird es auch beim nächsten Mal nicht tun. Er konnte in seiner Amtszeit nicht überzeugen. Er gehört zu den Scholz-treuen Bezirksamtsleitern, die die brutale Kürzungspolitik ohne Wenn und Aber umsetzen, anstatt für den eigenen Bezirk und seine Menschen zu kämpfen und sich vor allem auch vor seine Mitarbeiter/innen zu stellen.
Schuster: Eine eventuelle Wiederwahl steht erst 2018 an, bis dahin wird Herr Völsch beweisen müssen ob er seine Ziele umsetzen konnte und meine Stimme bekommen kann. Bis dahin werden wir seine Arbeit in gewohnter Weise kritisch begleiten.
 
Eine Handvoll von Anwohnern hat es mit lautstarken Protesten geschafft, einen einzigartigen Kulturstandort, nämlich die Stadtparkbühne, weitgehend lahm zu legen. Soll das in den nächsten fünf Jahren auch so bleiben?
 
Heimath: Mitten in der Innenstadt muss man bereit sein, hinsichtlich lärmintensiver Veranstaltungen Kompromisse zu schließen. Die Bühne kann vielfältig und auch häufig für unterschiedlichste Veranstaltungen genutzt werden. Die gegenwärtige Regelung wird, anders als die Fragestellung suggeriert, breit getragen.
Fischer: Nein.
Hermann: Die Stadtparkbühne ist ja nicht lahm gelegt, sondern nur in der Nutzung eingeschränkt. Die derzeitige Regelung für größere Veranstaltungen ist für uns im Sinne der Anwohner akzeptabel, grundsätzlich würden wir aber auch gern mehr kulturelle Veranstaltungen auf der Bühne haben. Insofern würden wir gern noch einmal gemeinsam mit Bewohnern und Veranstaltern ins Gespräch kommen, um die derzeitige Regelung „punktuell“ aufzuweiten.
Boeddinghaus: Aus Sicht Der Linken nicht. Wir haben als einzige Fraktion einen entsprechenden Antrag eingebracht, der erreichen wollte, dass alle Beteiligten an einen Tisch geholt werden. Entsprechend hat Die Linke-Fraktion auch die Kriterien zur Nutzung der Freilichtbühne abgelehnt, die sie im Grunde unbespielbar für die Zukunft machen.
Schuster: Nein, wir wollen dort attraktive Veranstaltungen wie zum Beispiel „Keine Knete trotzdem Fete“ zulassen! Es macht keinen Sinn eine Bühne zu sanieren, um anschließend dort kaum Veranstaltungen stattfinden zu lassen.
 
Der Veritas Beachclub soll einen anderen Standort bekommen. Nun gibt es ein Bürgerbegehren für den Erhalt. Unterstützen Sie das?
 
Heimath: Mit der geplanten Verlagerung zum Kanalplatz ist ein guter Kompromiss gefunden worden, der sowohl dem Wunsch nach einem Beachclub als auch der weiteren Entwicklung des Binnenhafens gerecht wird. Alles so zu lassen wie es ist, kann keine Alternative sein.
Fischer: Ich unterstütze das Bürgerbegehren ohne wenn und aber. Unterschriften können auch an den CDU-Wahlkampfständen geleistet werden.
Hermann: Wir sehen nicht woraus, sich der Anspruch des Beachclubs auf den Standort ableitet. Es sind Summen in Millionen-Höhe zur Bereitstellung in das Grundstück geflossen. Es war von Anfang an klar, dass dort ein Hotelbau geplant ist, der jetzt realisiert werden soll. Durch den Verkauf wird ein Großteil der investierten Steuermittel wieder `reinkommen und das finden wir auch richtig so. Der Beachclub muss auf alle Fälle im Hafen bleiben! Den Alternativstandort am Treidelweg finden wir gut, auch im Hinblick auf Veranstaltungen im Beachclub und der weiteren Wohnbebauung. Wenn das zu eng beieinander liegt, kommt es ähnlich wie bei der Stadtparkbühne eher zu Konflikten.
Boeddinghaus: Ich unterstütze das Bürgerbegehren in dem Sinne, dass ich es immer gut finde, wenn Menschen sich aktivieren und für ihre Anliegen initiativ werden. Die Linke unterstützt die Forderung nach einem Beachclub für Harburg an einem dauerhaften Standort, sein Betrieb sollte aber ausgeschrieben werden.
Schuster: Für mich sind Bürgerbegehren (wie der Name schon sagt) ein Instrument der Bürger und nicht der Parteien. Anschließend muss die Bezirksversammlung dazu Stellung nehmen. Ich bin auf das Ergebnis gespannt.
 
Eine starke Kulturszene gilt als Wegbereiter für eine nachhaltige und soziale Stadtentwicklung. Das könnte auch eine Chance für eine attraktive lebendige Universitätsstadt Harburg sein. Was halten Sie davon, ein Signal zu setzen und diese Entwicklung mit einem eigenständigen Kulturausschuss zu fördern?
 
Heimath: Das wird die nächste Bezirksversammlung entscheiden. Gute Kulturpolitik ist  uns wirklich wichtig, wobei gute Politik nicht von der Ausschussstruktur abhängig ist.
Fischer: Der bisherige Mischmasch-Ausschuss hat sich nicht bewährt. Die Kultur ist dabei zu kurz gekommen. Eine Neugliederung mit anderer Gewichtung ist erforderlich.
Hermann: Wir möchten die kulturelle Szene weiterhin stark fördern, dies könnte man am besten umsetzen, indem der jetzige Ausschuss für Kultur, Bildung, Sport und Stadtteilentwicklung KBSS so strukturiert wird, dass  die Stadtteilentwicklung `rausgeht. Das wäre ein angemessener Rahmen, sich noch mehr mit kulturellen Ideen und Projekten zu befassen.
Boeddinghaus: Ich finde die Idee sehr charmant! Er allein wird aber nicht helfen, die desolate Lage der Harburger Kulturszene zu verbessern. Dafür brauchen wir einen höheren Zuwendungsetat!
Schuster: Ich glaube, dass es nicht entscheidend ist, ob wir einen eigenen Ausschuss dafür haben. Viel wichtiger ist, dass alle Akteure im Bezirk an dem Ziel arbeiten, Harburg zu einer lebendigen Universitätsstadt zu entwickeln. Dazu braucht es noch eine Menge!
 
Harburg braucht für eine positive Entwicklung mehr  bezahlbaren Wohnraum. Allerdings: Kann der forcierte Wohnungsbau für Sie auch an Grenzen stoßen?
 
Heimath: Flächen in der Großstadt sind beschränkt und wir müssen sorgsam damit umgehen. Insoweit gibt es sicher Grenzen, die sind aber noch nicht erreicht.
Fischer: Der Wohnungsbau ist im Bezirk bereits an Grenzen gestoßen. Wesentliche Gestalter  wie zum Beispiel Wohnungsbaugenossenschaften haben sich aus dem Neubau verabschiedet. Es wird bisher am örtlichen und inhaltlichen Bedarf vorbei geplant, nur um Sollzahlen statistisch zu erfüllen und der Zentrale melden zu können. Es gibt in Harburg keine Leerstände, weil Wohnungen etwa zu teuer sind.
Hermann: Solange behutsam nachverdichtet wird, nicht!
Boeddinghaus: Ja, an der Landesgrenze! Die Vereinbarkeit von Wohnungsbau und dem Erhalt von Naherholungsflächen muss selbstverständlich diskutiert und in einem Gesamtkonzept entwickelt werden. Oberste Priorität für Die Linke ist die Versorgung aller Menschen in Harburg mit bezahlbarem Wohnraum, die ihn brauchen – und da stehen wir erst am Anfang!
Schuster: Ja, dort wo Nachverdichtung zu Lasten der vorhandenen Strukturen geht. Wir brauchen Qualität und eine nachhaltige Quartiersentwicklung.
 
War das Innenstadtforum ein Erfolg?
 
Heimath: Ja, der Innenstadtdialog war erfolgreich.
Fischer: Das war ein teurer Flop. Es wurde Bürgerbeteiligung vorgegaukelt. Gute Anregungen von Bürgern wurden durch Verwaltung und Mehrheitsfraktion in Vorwege weichgespült und daher nicht  echt und unverfälscht zur Abstimmung gestellt. Die geringe Beteiligung bei der Endabstimmung ist ein Desaster.
Hermann: Ja, weil es noch nie ein niedrigschwelliges bezirkliches Beteiligungsformat in dieser Form gab. Mit Sicherheit gibt es in der Umsetzung und der Ergebnisauswertung Nachbesserungsbedarf.
Boeddinghaus: Nein, jedenfalls nicht für diejenigen, die sich eingebracht haben und schon mal gar nicht für diejenigen, die sich aus welchen Gründen auch immer gar nicht angesprochen gefühlt haben. Echte und nachhaltig wirkende Bürger/innenbeteiligung geht anders!
Schuster: Leider nicht. Die beteiligten Bürgerinnen und Bürger fühlen sich verschaukelt und haben sich zahlreich darüber beschwert. Dazu kommt die Kostenexplosion auf 93.000 Euro, was als gut gemeinte Bürgerbeteiligung gestartet war, endet als Flop.
 
In der Regel wird die Bezirksversammlung Harburg nur von wenigen Gästen besucht. In den Fachausschüssen sind die Politiker  meist unter sich. Gleichzeitig beklagen sich immer mehr Bürger, dass die Bezirksversammlung über ihre Köpfe hinweg entscheidet. Wie können die Harburger besser beteiligt werden?
 
Heimath: Wir haben gute Beteiligungsverfahren, die wir nutzen, ausbauen und anpassen müssen. Allerdings wird man es niemals allen Recht machen können. Unsere Idee einer Frühlingssafari auf dem Gelände der Röttiger Kaserne wurde in nur fünf  Stunden von 700 Bürgern besucht.
Fischer: Leider beteiligen sich Bürger meist erst viel zu spät und nur dann, wenn sie persönlich unmittelbar betroffen sind. Mehr Bürgerbeteiligung wird erreicht, wenn die Entscheidungen abschließend verstärkt vor Ort getroffen werden und Bürger frühzeitig über Informationen verfügen.
Hermann: Das wird sich am 25.Mai entscheiden. Die Grünen stehen für frühzeitige Beteiligung von Bürgern in alle Prozesse. Wir würden gern  das Engagement und die Kompetenz, die Bürger aus Initiativen zu partiellen Themenbereichen mitbringen, ausweiten und für Themen von gesamtgesellschaftlichem Interesse sind, nutzen.
Boeddinghaus: Die Linke fordert dauerhaft in jedem Stadtteil arbeitende Beiräte mit eigenem Budget und echten Mitbestimmungsrechten und entsprechender Einflussnahme auf die Bezirkspolitik. Bezirkliche Bürgerbegehren müssen vom Senat ernst genommen werden. Seine Ablehnung darf nur wegen eines von ihm nachgewiesenen Entgegenstehens allgemeiner gesamtstädtischer Belange erfolgen.
Schuster: Indem sich die Bezirksversammlung und ihre Fraktionen weiter öffnen. Wir bieten offene Fraktionssitzungen an, fordern einen Bürgerfonds, über dessen Mittel die Bürger selbst entscheiden und wollen in jedem Ausschuss zu Beginn eine Bürgerfragestunde einrichten.
 
In der jetzt zu Ende gehenden kurzen Legislatur ist einiges liegen geblieben. Was ist für Sie das Ärgerlichste?
 
Heimath: Fällt mir spontan nichts ein.
Fischer: Die katastrophale Verkehrssituation auf Straße und Schiene mit unerträglichen Belastungen durch Staus, Lärm und Emissionen, sowie der miserable Zustand der Verkehrwege.
Hermann: Die Landschaftsbrücke als Verbindung zwischen Hafen und Innenstadt. Bei der derzeitigen Innenstadtproblematik wäre es nicht nur ein zukunftsweisendes Signal, beide Bereiche miteinander zu verbinden, sondern würde auch direkt positiven Einfluss auf die derzeitige Situation der Lüneburger Straße nehmen.
Boeddinghaus: Viel zu zaghafter sozialer Wohnungsbau. Die Linke fordert 50 Prozent Anteil im 1. Förderweg. Kürzungen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit wurden mit dem Ausbau der ganztägigen Bildung an Schulen begründet. Deren Umsetzung ist aber verheerend mangelhaft und kompensiert die Einschnitte in der Jugendhilfe mitnichten. Es gibt kein Konzept. Die Linke fordert die Zurücknahme der Kürzungen und eine grundlegende Evaluation der derzeitigen Situation an Schulen und bei den Angeboten der Offene Kinder- und Jugendarbeit und deren Zusammenarbeit. Schließlich: Die Kommunikation in der Flüchtlingspolitik ist ein Desaster! Harburg muss und kann Menschen in Not aufnehmen und helfen: Das muss aber mit den Harburger/innen und nicht gegen sie organisiert werden. Die Linke fordert Runde Tische und klare Konzepte zur Aufnahme der Flüchtlinge mit Unterstützungsmaßnahmen und einer menschenwürdigen Unterbringung.
Schuster: Dass wir immer noch kein richtiges Stadtteilmarketing haben, dass die Erweiterung des Phoenix-Centers beschlossen wurde – zu Lasten der Harburger Innenstadt. Dass der Bezirk viel zu oft vom Senat vor vollendete Tatsachen gestellt wird und wir über  200.000 Euro weniger für die dringend benötigte Offene Kinder - und Jugendarbeit im Bezirk zur Verfügung haben.
 
Stellen Sie sich vor: Sie sind für einen Tag Bezirksamtsleiter/in. Was würden Sie anpacken?
 
Heimath: Dafür würde ein Tag nicht genügen, weil die Zeit zur Umsetzung nicht ausreichen würde.
Fischer: Allen Senatoren in Hamburg für Harburger Interessen auf die Füße treten.
Hermann: Da ich projektorientiert arbeite, weiß ich, dass ich an einem Tag nicht wirklich etwas bewegen kann. Jede Idee bedarf einer Entwicklung in angemessener Zeit mit Beteiligung.
Boeddinghaus: Mir fällt nichts von Bedeutung zur Verbesserung der Lebensverhältnisse vieler Harburger/innen ein, was ich nicht auch als Abgeordnete für Die Linke aus der Opposition heraus anpacken könnte....!
Schuster: Ich würde den Tag nutzen, um allen Senatoren und dem Hamburger Bürgermeister bei einer Rundfahrt durch den Bezirk Harburg klarzumachen, dass hier im Süden die Zukunft der Stadt Hamburg liegt. Danach würde ich Ihnen Ihre Hausaufgaben mitgeben und diese regelmäßig kontrollieren.
 
Fragen von: Andreas Göhring