Interview: Harburgs Bezirkschefs oft "willige Erfüllungsgehilfen" des Senats

131108VormizeeleHarburg – Harburgs Kulturschaffende, die Grünen und die Linke begrüßen die Einrichtung einer Zentralen Erstaufnahmestation für Flüchtlinge in Harburg. Die SPD im Prinzip

auch, hat aber Bedenken. FDP und CDU lehnen die Einrichtung ab. Vor allem die CDU sieht die Einrichtung als Belastung für Harburg. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Kai Voet van Vormizeele, sagt warum.

 harburg-aktuell: Herr van Vormizeele, die vom Senat geplante Einrichtung einer Zentralen Erstaufnahmestelle für Asylbewerber in der alten Post am Harburger Bahnhof führte in der Bezirksversammlung zu erheblichen Debatten. Manche Harburger haben den Eindruck, hier soll die Last der Hansestadt einmal mehr über die Elbe in Hamburgs ungeliebten Süden verlagert werden.

Van Vormizeele: Ihre Frage berührt sehr unterschiedliche Aspekte. Lassen Sie mich zuerst etwas Grundsätzliches feststellen. Deutschland verfügt über eines der modernsten und auch menschenfreundlichsten Asylgesetze, auf das wir durchaus stolz sein können. Die weltweit zunehmenden Konflikte bringen es leider mit sich, dass die Zahlen der Asylsuchenden steigen. Insofern kommt Hamburg nicht daran vorbei, dafür neue Einrichtungen zu schaffen, da auch derjenige, der nur vorgibt, ein Asylsuchender zu sein, den Anspruch einer fairen Prüfung seiner Situation hat, bevor er in seine Heimat zurückgeschickt wird.

Wird denn nun den Harburgern wieder einmal eine Extra-Last aufgebürdet?

Selbstverständlich muss auch Harburg seinen Teil zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms beitragen. Aber bedenken Sie, dass gerade festgelegt wurde, in Harvestehude eine längerfristige Flüchtlingsunterkunft einzurichten. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Asylsuchenden müssen gerecht auf die Stadt verteilt werden. Selbstverständlich kann es nicht sein, dass ein Bezirk deutlich mehr als andere belastet wird. Wichtig ist es auch, dass die Bevölkerung bei der Standortwahl einbezogen wird. Der Senat und die Bezirksämter müssen darlegen, was geplant ist, welche möglichen Auswirkungen das haben kann, welche Alternativen geprüft wurden und wie die Anwohner ohne persönliche Einschränkungen damit umgehen können, im besten Falle sogar zu einem guten Miteinander mit den Hilfesuchenden kommen. Man darf bitte nie vergessen, dass viele dieser Menschen mit Mühe und Not Kriegen entronnen sind, an deren Zustandekommen sie keine Schuld tragen. Trotzdem gilt: Ein Desaster vergleichbar dem bei der Moorburger Unterkunft für ehemals Sicherheitsverwahrte darf sich nicht wiederholen. Bei der Bürgerbeteiligung und Bürgerinformation gibt es tatsächlich deutliche Defizite, über die in der Harburger Bezirksversammlung zu recht heftig gestritten wurde.

 Sicherheitsverwahrte und Flüchtlinge - viele Harburger fühlen sich von der Innenpolitik auf der anderen Seite der Elbe vernachlässigt und übergangen.

 Ich glaube, wir haben es hier mit einer Mischung aus Tatsachenbeschreibung und splendid isolation zu tun.

 Splendid isolation? Soll Harburg eine Politik wie das Vereinigte Königreich im 19. Jahrhundert betreiben?

Splendid isolation steht historisch für eine Situation, in der Politik nur eigene Nabelschau betreibt und sich in dieser Rolle behaglich eingerichtet hat. Dazu gehört dann auch das permanente Gefühl, von allen anderen nicht richtig verstanden zu werden. Selbstverständlich ist es richtig, dass Harburg in den vergangenen Jahrzehnten vom Senat häufig stiefmütterlich behandelt wurde. Soziale und andere Probleme wurden in den Süden verlagert, statt sie zu lösen. Richtig ist aber auch, dass der von-Beust-Senat mit dem Sprung über die Elbe und der Belebung des heruntergekommenen Harburger Hafens wichtige Impulse in die süderelbische Stadt gegeben hat. Und richtig ist auch, dass derzeit zu erkennen ist, wie hohe Mieten in nordelbischen Stadtlagen weniger begüterte Hamburger in den Süden treiben. Hier ist der Senat gefordert, in Harburg eine gesunde Bevölkerungsstruktur zu erhalten. Harburg selbst ist gefordert, so attraktiv zu werden, dass man dort gern wohnen möchte. Die Potenziale dazu sind doch vielfältig vorhanden. Nördlich der Elbe allerdings vermittelt sich häufig der Eindruck, dass Harburg sich in der Rolle des underdogs recht wohl fühlt.

 Soll das heißen, dass Harburg selbst schuld ist, wenn es von Hamburg schlecht behandelt wird?

Im Ergebnis muss man das so sagen – auch wenn das die Harburger nicht gern hören werden. Politik – so läuft das Spiel – ist zu einem Gutteil auch lautstarke Forderung und Eigeninitiative. In den vergangenen Jahrzehnten waren die von der Mehrheit gewählten Bezirkschefs häufig willige Erfüllungsgehilfen des Senats. So war es dann auch ein Einfaches, Harburg als Endlager für Hamburger Probleme zu nutzen. Es gab ja keinen Widerstand. Unter Bezirksbürgermeister Torsten Meinberg wurde das deutlich anders. Als der Senat die Mittelzuschüsse anhand einer Erhebung des Statistischen Landesamtes kürzen wollte, ließ er den Nachweis erbringen, dass diese Erhebung keinerlei Aussagekraft habe. Sehr zum Unbehagen auch mancher CDU-Senatoren machte Meinberg unmissverständlich deutlich, dass Harburg eigene Interessen hat – und diese nicht nur einfordert, sondern auch umsetzt. Bei der letzten Wahl nun hat die SPD vom Bürger den Regierungsauftrag in Harburg bekommen und den kämpferischen Meinberg abgesetzt. Mein aktueller Eindruck ist, dass der neue Bezirksamtsleiter sich – wie seine Vorgänger im vergangenen Jahrhundert – mehr dem alten Rollenverständnis verpflichtet fühlt. Festzuhalten ist aber auch, dass die Mehrheit der Harburger dieses mit ihrer Wahl genau so veranlasst hat. Insofern beschwert Harburg sich jetzt wieder über ungerechte Behandlung – und hat sie sich doch selbst gewählt.  Die Harburger können nicht erwarten, dass andere ihre Wünsche erfüllen, ohne dass sie selbst für diese Wünsche kämpfen. Hinzu kommt dann auch noch, dass viele Harburger sich – historisch vielleicht verständlich – mehr auf den Landkreis orientieren als auf das Land Hamburg. Selbst aber, wenn wir eines Tages einen Nordstaat haben sollten, gehört Harburg zu Hamburg. Und deshalb sollte es mit dem notwendigen Selbstbewusstsein auftreten und seinen Anteil an der künftigen Entwicklung des gemeinsamen Bundeslandes Hamburg einfordern.

Das Interview führte Andreas Göhring