SPD, Grüne und Linke: Ja zur dritten Flüchtlingsunterkunft in Harburg

RathausHarburg – Auch wenn es sich die SPD-Fraktion mit einer Stellungnahme zuvor wirklich nicht leicht gemacht hatte: Als Manfred Schulz, Vorsitzender der Bezirksversammlung,

den Tagesordnungspunkt 6 aufrief, rief er eine Geisterdebatte auf. Denn Innensenator Michael Neumann hat sich längst für die alte Post am Harburger Bahnhof als Standort der dritten Zentralen Erstaufnahmestation (ZEA) für Flüchtlinge entschieden. Dabei bleibt es, auch wenn sich in der Bezirksversammlung eine Mehrheit gegen diesen Standort gefunden hätte. Und dabei bleibt es, obwohl es auch starke Argumente gegen diesen Standort gibt.

Und wenn der SPD-Fraktionschef beteuert, die Entscheidung sei noch nicht gefallen, ist das allenfalls der Versuch, Neumann vor dem Vorwurf zu schützen, das Mitspracherechts des Bezirks unterlaufen zu haben. Hat er aber! Eine Petitesse?

Wie auch immer. Die Gegner des Standorts waren klar in der Minderheit. CDU und FDP lehnen eine ZEA in der alten Post ab, vor allem weil es im Umkreis von nicht einmal 300 Metern schon zwei weitere Wohnunterkünfte gibt – wenn auch mit anderer Klientel. Grüne und Linke sprachen sich klar für die alte Post aus, die SPD mit Bauchschmerzen ebenso.

Zuvor hatte vor dem Rathaus die Initiative welt*Raum e.V. – unterstützt von einer Reihe Harburger Kulturschaffender – die kommenden Flüchtlinge schon einmal begrüßt: Refugees welcome!

Wenige Stunden vor der Bezirksversammlung hatte noch ein Gerücht kurzzeitig für Aufregung gesorgt: Angeblich wollte ein großer deutscher Handelskonzern in Sorge um die Harburger Innenstadt seinen Einfluss beim Senat nutzen, um die ZEA doch noch zu verhindern. „Das ist Quatsch“, sagte SPD-Fraktionschef Jürgen Heimath ärgerlich. CDU-Chef Ralf-Dieter Fischer wurde noch deutlicher: „Wir sind doch keine Bananenrepublik.“

Trotz allem: Die Debatte hat sich gelohnt. Weil sie die Tragweite der Entscheidung deutlich machte. Britta Herrmann von den Grünen brachte es auf den Punkt: „Wir sehen die Bedenken, wir verstehen die Anwohner, aber die menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge hat für uns letztlich die höhere Priorität. Uns ist klar, dass wir damit die Versprechen gegenüber den Anwohnern brechen, es werde keine weiteren Einrichtungen in dieser Gegend geben. Und deshalb werden wir die Bürgerinitiative weiter nach Kräften unterstützen.“ Die Belegung der Unterkunft Wetternstraße sei problematisch.

Klaus Lübberstedt von der Linken forderte die Harburger  gar auf, am Bahnhof sichtbar Zeichen zu setzen und eine neue Willkommenskultur zu zeigen: „Das sind wir den Flüchtlingen schuldig.“ Schließlich habe die Bundesrepublik mit ihrer militärischen Unterstützung für das „korrupte System“ in Afghanistan oder der Lieferung von Bauteilen für die Giftgas-Produktion in Syrien zu deren Elend beigetragen.

Zuvor hatte Lübberstedt allerdings an seiner eigenen Glaubwürdigkeit gekratzt. In der Bürgerfragestunde hatte nämlich die Anwohnerinitiative eine lange Liste mit Überfällen, Bedrohungen und anderen Angst einflößenden Vorfällen rund um die Unterkunft Wetternstraße verteilt. Lübberstedt sah sich nicht in der Lage, dazu Stellung zu nehmen: „Das ist unmöglich! Ich kann diese Liste nicht in fünf Minuten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen.“ Er hätte dazu sogar Monate Zeit gehabt, denn die Liste war lange vorher am Runden Tisch mit Anwohnern, Politikern, Polizei und Verwaltung verteilt worden. Und Lübberstedt sitzt auch an diesem runden Tisch! Offenbar nimmt er die Sorgen der Anwohner nicht ernst.

Dagegen hat die SPD inzwischen verstanden, dass man die Anwohner nicht mit warmen Worten abspeisen kann. Sie wird sich jetzt für eine Verbesserung ihrer Situation einsetzen. Nach den harten, fraktionsinternen Diskussionen der letzten Tage wird sie dies Versprechen auch umsetzen. Gleichwohl war sich die SPD auch ihrer Verantwortung als Regierungspartei bewusst. Angesichts dramatisch steigender Flüchtlingszahlen stimmt sie der ZEA in der alten Post zu, sieht diesen Standort nach wie vor aber äußerst kritisch.

Carsten Schuster von der FDP sieht vor allem Verfahrensfehler. Der Senat habe die Stellungnahme des Bezirks nicht abgewartet, außerdem vermisst er eine Informationsveranstaltung für die Anwohner, im Bezirk Wandsbek habe es diese mehrfach gegeben. Schließlich ist er in Sorge, dass der Senat mit seiner Entscheidung rechtsradikale Kräfte ermutigt, in der Siedlung nach Stimmen zu fischen.

Ralf-Dieter Fischer von der CDU begründete das Nein seiner Fraktion vor allem mit der fehlenden Finanzierung von Deutschkursen und anderen Hilfsangeboten für die Flüchtlinge. Außerdem habe Volker Schiek, Staatsrat der Innenbehörde, bei seinem Auftritt im Harburger Sozialausschuss eindrucksvoll bewiesen, wie wenig informiert er über die Situation in Harburg sei. Für die SPD hatte Fischer nur Spott übrig. Es gab nach Ansicht Fischers nur zwei Möglichkeiten, wie sich die SPD entscheiden könnte: Entweder als „Bettvorleger des Senats“ oder mit „Heldenmut nach Ladenschluss“. Fischer: „Letztlich ist sie bei einem entschiedenen Sowohl-Als-Auch gelandet.“ ag